Wer hat schon ein Haus mit einer veritablen Bibliothek? Und in dieser Bibliothek auch noch einen Sessel, der jahrzehntelang als Requisit im Wiener Burgtheater Dienst tat? Und wer kann in seiner Bibliothek mit diesem Sessel auch noch beeindruckende Weine und Destillate aus eigener Produktion kredenzen?
Das sind natürlich rhetorische Fragen, und die will ich in diesem Beitrag gern und begeistert beantworten: Das betreffende Haus steht in Bad Vöslau, rund 40 Kilometer südlich von Wien, und gehört Kurt und Daniela Steiner. In ihren Hauptberufen haben beide mit der Herstellung und Vermarktung alkoholischer Getränke gar nichts zu tun, doch nebenberuflich betreiben sie ein Familienprojekt, dessen „Früchte“ (im doppelten Wortsinn) ich in eben jener Bibliothek kennenlernen durfte.
Kurt Steiner ist ein charismatischer Mann – ein leidenschaftlicher Genießer und Gastgeber, der die größten Zigarren raucht, die ich je gesehen habe. Weltgewandtheit ist bei ihm keine Fassade, sondern authentischer Ausdruck einer ebenso durchsetzungsstarken wie großzügigen Persönlichkeit. Belesen, eloquent, humorvoll – im besten Sinne intellektuell, feingeistig und dabei gern gesellig. Er zählt Philosophen und Künstler zu seinen Freunden, kultiviert seine eigene Kreativität im Malen, Fotografieren und Dichten, bereist die Welt und ist hingebungsvoller Familienmensch, gleichzeitig denkt er hochgradig analytisch und unternehmerisch. Allein als Gesprächspartner ein Segen und Quell unzähliger Anekdoten (bei denen es ihm nicht an Selbstbewusstsein mangelt); ein Mann, der Publikum schätzt und viel zu erzählen hat.
Zum Beispiel über sein Weingut – genauer gesagt, das Weingut seiner Frau Daniela. Deren Großvater Ludwig Schöffl war über 70 Jahre lang passionierter Weinbauer in der Steiermark und gab sein Weinwissen im Laufe seines langen Lebens an seine Enkelin weiter. Als er 2008 im Alter von 98 Jahren starb, erbte Daniela von ihm einen halben Hektar Weingarten auf vulkanischen Böden sowie die Ausstattung seines kleinen Weinguts einschließlich einer Brennanlage. Dies alles befindet sich in Klöch, knapp zehn Kilometer nördlich von Bad Radkersburg in der Südoststeiermark. Familie Steiner diskutierte daraufhin, ob und wie sie das Erbe antreten und das Weingut fortführen könnte. Einfach würde es nicht werden: In dem steilen, dicht bepflanzten Weinberg mit durchschnittlich 40 Jahre alten Rebstöcken ist ausschließlich Handarbeit möglich, und für Kurts Hobby, das Golfspielen, würde dann keine Zeit mehr bleiben. Und mit weniger als Spitzenweinen wollten sich die Steiners nicht zufriedengeben, wenn sie sich auf das Abenteuer einließen.
Nicht zuletzt zu Ehren des Großvaters ging man schließlich das Wagnis ein – und als der erste gemeinsame Weinjahrgang alle Erwartungen übertraf, gab Kurt das Golfen auf, denn die Bedingung, die er sich selbst dafür gestellt hatte, war erfüllt: eine restlos überzeugende Qualität. Das Weingut heißt seitdem „Vinea Volcania Ludovici“ – sinngemäß übersetzt „Ludwigs Vulkan-Weingarten“, also eine Reminiszenz an den Gründer ebenso wie an das Terroir. Erzeugt werden heute vier Weißweine, die ebenfalls alle lateinische Namen tragen:
Venustus (übersetzt: anmutig, liebreizend), ein reinsortiger Welschriesling- Ab Avo (übersetzt: vom Großvater), ein reinsortiger Riesling
- Proavitus (übersetzt: von den Vorfahren geerbt), ein reinsortiger Traminer
- Nobiles (übersetzt: die Edlen), eine Cuvée aus 60 % Riesling, jeweils 15 % Welschriesling und Traminer sowie 10 % Sauvignon Blanc
Insofern sind das durchaus Weine für Fortgeschrittene – aber dabei ganz selbsterklärend und unprätentiös.
2017 Venustus Welschriesling
saftig, geradlinig und frisch mit Aromen von Zitrusfrüchten, Äpfeln und Birnen, floralen Anklängen, mineralischen Noten, einer Spur Ananas und animierender Säure, sehr anregend und ausgewogen
Die Handarbeit prägt sämtliche Schritte und Elemente der Produktion: von der Bewirtschaftung des Weinbergs bis zur Füllung, auch die markanten, modernen Etiketten sind Eigenentwürfe. Die überschaubare Größe des Weingartens erlaubt – so Kurt Steiner – eine „Achtsamkeit gegenüber jedem einzelnen Rebstock“ und eine jeweils individuelle Behandlung; „resignierende Stöcke“ werden zunächst beobachtet und nicht vorschnell aufgegeben.
2017 Ab Avo Riesling
saftig, animierend, vollfruchtig und nachhaltig mit Aromen von Zitrusfrüchten, Kräutern, Pfirsichen und Aprikosen, feinem Schmelz, feiner Säure und mineralischen, an Feuerstein erinnernden Noten
Steiners arbeiten so naturnah wie möglich, auch wenn der Pflanzenschutz mit konventionellen Mitteln erfolgt. Im Weinberg trägt Daniela die Verantwortung, im Keller wirkt Kurt zusammen mit einem jungen Önologen; die Lesemannschaft besteht aus Familie und Freunden. „Die wesentliche Arbeit im Weinberg erbringt die Natur. Wir Menschen leisten zum Entstehen des Weines einen Beitrag. Der Wert unseres Beitrages ist sowohl von unseren Kenntnissen und von unserer Erfahrung, von unserer Sorgfalt und von unserem Fleiß, als auch von unserer Haltung abhängig“, schreibt Daniela auf der Internetseite des Weinguts. „Statistisch gesehen beschäftigen sich Winzer wie wir, die ihre Weine in Handarbeit entstehen lassen, 17 mal innerhalb eines Jahres mit jedem einzelnen Weinstock.“
2017 Nobiles Klöchberg
kraftvoll mit Aromen von Quitten und Aprikosen, zarter kräuteriger Würze, mineralischen Noten und animierender Säure; mit Luft geradliniger, ein Hauch Rosenholz, noch mehr Harmonie und Trinkfreude
„Wir haben großen Respekt vor den Leistungen der vielen Winzer, die weitaus größere Weinanbauflächen als wir erfolgreich bewirtschaften“, heißt es auf der Internetseite weiter, „aber wir genießen es unbeschreiblich, ‚kleine‘ Nebenerwerbswinzer und dadurch jedem einzelnen Weinstock sehr nahe zu sein. Aufgrund unserer ‚Kleinheit‘ können wir uns jedem einzelnen Weinstock mit besonderer Zuwendung widmen und seine Bedürfnisse ‚erspüren‘; so empfinden wir die Handarbeit im Weinberg nicht als ‚Mittel zum Zweck‘ oder gar als Belastung, sondern als Freude. Diese Freude halten wir für eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Vinea Volcania Ludovici Trauben und letztlich Weine höchster Qualität hervorbringt.“
2017 Proavitus Traminer
finessenreich und ausgewogen mit Aromen von Rosenblüten, Quitten und Melonen, animierender, feiner Säure, mineralischen Noten, feiner floraler und erdiger Würze, Schmelz und gewisser Kraft
Die Weine von Daniela und Kurt Steiner sind eigenständig und äußerst ansprechend, sie haben Substanz und Charakter. Und erst mit einigen Jahren Reife offenbaren sie ihr ganzes Potenzial – wie sich auch an dem Abend in der Bibliothek zeigte.
2015 Ab Avo Riesling
geradlinig, sehr fein und geschliffen, saftig und nachhaltig mit Aromen von Limetten, grünen Äpfeln, Orangen und Aprikosen, pflanzlicher Würze, präsenter Säure, mineralischen Noten und Zug; mit Luft (nach etwa 45 Minuten) noch mehr Schliff, sehr feine Frucht, kühler Saft, Mineralität und Länge
Außer eindrucksvollen Weinen produziert Familie Steiner unter den Marken „THE STILL ART“ und „DESTILLArT“ (wie erkennbar, englisch inspirierte Wortspiele mit „destillieren“ und „Kunst“) auch hochwertige Obst- und Tresterbrände, die mich ebenfalls sehr begeistert haben. Derzeit im Angebot sind Reine Birne, Grappa vom Gelben Muskateller, Grappa vom Gelben Traminer, Grappa vom Gewürztraminer, Grappa vom Rheinriesling, Grappa vom Sauvignon Blanc und Traubenbrand vom Roten Riesling. Zwei dieser Brände habe ich an anderer Stelle ausführlich beschrieben.
Wer die Weine und/oder Brände von der Vinea Volcania Ludovici probieren oder erwerben möchte, sollte schnell entschlossen sein: Aufgrund der geringen Größe des Weinguts ist die Menge extrem begrenzt. Aber es lohnt sich in jedem Fall, Kontakt mit Kurt und Daniela Steiner aufzunehmen: www.vvlweine-steiner.at