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Fünf Weinliebhaber – ein Önologe, ein Winzer, ein Fotograf, ein Architekt und ein Weinjournalist – trafen sich zu einem kulinarischen Abend, mit dem der Önologe seinen Geburtstag beging. Der Journalist war ich, und dieser Abend machte allen Beteiligten wieder einmal deutlich, weshalb Wein so faszinierend und beglückend ist.

Prolog

Am Tag vor dem bewussten Abend durfte ich zwei Weißweine trinken – nein, nicht nur verkosten: trinken –, die mir zwei der bewegendsten und nachhaltigsten sensorischen Erlebnisse bescherten, die ich jemals hatte.

2010 Chardonnay Vie di Romans, Vie di Romans2010 Chardonnay Vie di Romans, Vie di Romans, Friaul, Italien

Diesen Wein lernte ich 2012 kennen und hatte ihn zuletzt 2015 im Glas. Begeistert hat er mich schon immer. Jetzt bekam ich ihn blind serviert – und erkannte ihn nicht. Umso größer waren dann meine Freude und Verblüffung, als ich die Flasche sah. Dieses Wiedersehen und Wiederschmecken berührte mich wahrhaftig so, dass ich feuchte Augen bekam – als war, als hätte ich nach etlichen Jahren einen guten Freund wiedergetroffen.

In der Nase zuerst Noten von teilweise kandiertem Sellerie und gelben Früchten. Im Mund charaktervoll mit salzigen Tönen, Aromen von sehr reifen Birnen und Mirabellen, Schmelz, feiner Säure sowie Anklängen an Nüsse und Marzipan.

Nach drei Stunden:

In der Nase Aromen von Nüssen und gelben Früchten sowie vegetabile Töne. Im Mund vielschichtig, animierend und ganz trocken mit salzig-mineralischen, nussigen und etwas ätherischen Noten, Aromen von gelben Früchten, Schmelz, feiner Säure, Festigkeit, gewisser Kraft, Zug und sehr gutem bis langem Abgang.

Ich war ergriffen. Vom zweiten Wein jedoch war ich vollkommen überwältigt.

2003 Mittelheim St. Nikolaus Riesling trocken, Peter Jakob Kühn, Rheingau, Deutschland

2003 Mittelheim St. Nikolaus Riesling trocken, Peter Jakob KühnAuch diesen Wein bekam ich eingeschenkt, ohne zu wissen, was sich im Glas befand. Dass es sich schließlich als ein Jahrgang des Rieslings herausstellte, der mich im Rheingau schon seit Langem immer wieder am meisten beeindruckt, erschein am Ende nur logisch. Verschlossen war die Flasche übrigens mit einem Kronkorken.

Dunkle Bernsteinfarbe. In der Nase animierend, komplex und fein mit Noten von gebrannten Mandeln, Lebkuchen, kandierten Mandarinen, gerösteten Haselnüssen, Aprikosen und Zitronenblüten. Im Mund sehr fein und vielschichtig mit gewisser Kraft, Aromen von Zitrusfrüchten, karamellisierten Nüssen und reifen Pfirsichen, präsenter, recht feiner Säure, mineralischen Tönen und zartem Schmelz, sehr geradlinig, sehr lebendig
und nachhaltig, in sich geschlossen. VDP-Flasche mit KronkorkenMit Luft ätherische Noten, Aromen von Minze, Nüssen, teilweise getrockneten Aprikosen, Karamell, Zitrusfrüchten und teilweise eingemachten Pfirsichen, vollmundig, kraftvoll und intensiv mineralisch mit Schmelz und feiner Säure, vibrierend und sehr lang mit zunehmender Spannung und Kraft sowie einem extrem festen, unverbrüchlichen Kern. Dieser Wein ist wild und unbändig und hat gleichzeitig eine bezwingende Macht und Strenge; seine Gewalt unterwirft Sinne und Nerven und geht genau bis kurz vor die Schwelle der sensorischen Überforderung. Eine Raubkatze.

„Wäre dieser Wein ein Mann, würde ich wahrscheinlich sofort ihn Ohnmacht fallen – und bliebe ich bei Bewusstsein, würde ich ihm bedingungslos verfallen und mich von ihm versklaven lassen“, schrieb ich enthusiasmiert, während ich ihn auf mich wirken ließ; und in meinen Notizen tauchen auch noch andere Begriffe auf: „Gewalt“, „Ehrfurcht“, „überirdisch“, „einzigartig“. Das mag man für gewöhnungsbedürftig bis übersteigert halten, doch es ist tatsächlich sehr schwer, solche sinnlichen Eindrücke in Worte zu fassen; dies ist mein Versuch dessen.

Genussspiel in acht Gängen

An dem kulinarischen Abend selbst nun kredenzte unser großzügiger Gastgeber acht Gänge und dazu zwölf Weine – die allermeisten davon aus seinem Keller; einen hatte einer der Gäste als Überraschung mitgebracht. Die Dramaturgie gestaltete sich wie folgt:

Charles VII brut, Canard-DuchêneCanapés mit Räucherlachs, Mayonnaise und Forellenkaviar
sowie mit Matjeshering und Broccolicreme

Charles VII brut, Canard-Duchêne, Champagne, Frankreich

In der Nase florale, leicht rauchige und pflanzliche Töne, Noten von Zitrusfrüchten und Zitronenblüten sowie Anklänge an weiße Früchte und Brioche. Im Mund sehr geradlinig, saftig und frisch mit Aromen von Zitrusfrüchten und grünen Äpfeln, präsenter, feiner Säure, mineralischen Noten, lebendiger, harmonischer Perlage und elegantem, gutem bis sehr gutem Abgang.

2015 Heida Réserve des Administrateurs, Cave Saint-Pierre2015 Heida Réserve des Administrateurs, Cave Saint-Pierre, Wallis, Schweiz

In der Nase vegetabile, leicht ätherische und gelbfruchtige Noten. Im Mund saftig, geradlinig und nachhaltig mit Aromen von gelben Früchten, zart nussigen und karamelligen Anklängen, feinem Schmelz, harmonischer Säure, feiner Mineralität, gewisser Kraft und gutem Abgang.

Tomaten mit Thunfischfarce, Aioli und Petersilienöl

2013 Les Duchesses Pouilly-Fumé, Laporte, Loire, Frankreich

In der Nase Noten von Pampelmusen sowie pflanzliche und kräuterige Töne. Im Mund kühl und geradlinig mit zart rauchiger Mineralität, Aromen von Äpfeln und Zitrusfrüchten, präsenter Säure, gewissem Zug, gewisser Kraft und gutem bis sehr gutem Abgang; braucht Luft, um sich zu finden, und präsentiert sich dann sehr saftig, nachhaltig und frisch.2013 Les Duchesses Pouilly-Fumé, Laporte

Wurzelgemüse mit Shiitake-Pilzen, Chili und Sojasauce

2015 Sauvignon Blanc Vinothekfüllung (Magnum), Frühwirth, Steiermark, Österreich

In der Nase Noten von Zitrusfrüchten und Äpfeln sowie rauchige und grün-pflanzliche Töne. Im Mund saftig und animierend mit Aromen von Nüssen, teilweise gratinierten Aprikosen und Birnen, sehr feiner Säure, feinem Schmelz, gewisser Kraft, mineralischen Noten, Zug und sehr gutem Abgang; sehr eigenständig, vielschichtig, präzise und ausgewogen.

Käferbohnen-Hummus mit Kürbiskernöl und Sardine

2015 Sauvignon Blanc Vinothekfüllung (Magnum), Frühwirth1983 Kremser Sandgrube Grüner Veltliner Kabinett, Aigner, Niederösterreich, Österreich

In der Nase Noten von gelben Früchten sowie feine vegetabile, florale und nussige Töne. Im Mund gereift mit salzig-mineralischen, nussigen, vegetabilen und gelbfruchtigen Aromen, Anklängen an Rosinen, präsenter Säure, zartem Schmelz und gutem bis sehr gutem Abgang.

2007 Saint-Estèphe, Château de Pez, Bordeaux, Frankreich

30 Stunden karaffiert

In der Nase Noten von Gewürzen, reifen roten und schwarzen Beeren sowie eingemachten Pflaumen. Im Mund straff, ziemlich eng geführt, kühl und geradlinig mit Aromen von dunklen Beeren, Gewürzen und Erdbeeren, mineralischen Tönen, recht kräftigem Tannin, präsenter Säure, gewisser Strenge und ordentlichem bis gutem Abgang.1983 Kremser Sandgrube Grüner Veltliner Kabinett, Aigner

Tortilla mit Whiskysalsa

2010 Brunello di Montalcino, Donatella Cinelli Colombini, Toskana, Italien

12 Stunden karaffiert

In der Nase tief und animierend mit feiner pfeffriger Würze und Noten von dunklen Früchten. Im Mund kühl, elegant, fein und geschliffen mit Aromen von dunklen Beeren und Gewürzen, feinen nussigen Anklängen, feinsandigem Tannin, feiner Säure, gewisser Kraft und gutem bis sehr gutem Abgang.

Parmigiana di Melanzane (Auberginen-Auflauf)

2006 Sankt Laurent Konkret, Meinklang, Burgenland, Österreich

2007 Saint-Estèphe, Château de PezIn der Nase dicht mit Noten von Zedernholz, Vanille und dunklen Früchten. Im Mund kraftvoll und kühl mit Aromen von dunklen Früchten und Gewürzen, leicht rauchigen Anklängen, sehr gut strukturiertem Tannin, harmonischer Säure und gehaltvollem, sehr gutem Abgang.

1997 Brunello di Montalcino, Siro Pacenti, Toskana, Italien

In der Nase leicht offen mit erdig-würzigen Tönen. Im Mund sehr kühl, straff und saftig mit Aromen von dunklen Beeren und Tabak, Anklängen an Liebstöckel, Lorbeer und Kümmel, mineralischen Noten, kräftigem Tannin, harmonischer Säure, viel Zug und gutem, etwas trocknendem Abgang.

Kichererbsen mit Blutwurst

2001 Gran Reserva 904, La Rioja Alta, Rioja, Spanien

2010 Brunello di Montalcino, Donatella Cinelli ColombiniIn der Nase Noten von reifen Beeren und Pflaumen, Vanille und Kokos sowie nussige Würze. Im Mund kühl, saftig und elegant mit Aromen von reifen Beeren (Blaubeeren, Erdbeeren), feiner Würze, mineralischen Tönen, feinem Tannin, animierender Säure, Schliff und sehr gutem Abgang.

Rinderbäckchen mit Radiatori

2001 Springflat Shiraz Heathcote, Wild Duck Creek Estate, Victoria, Australien

In der Nase kühl und dicht mit Noten von Zedernholz, dunklen Beeren, Pflaumen und Gewürzen (Anis, Pfeffer). Im Mund geschliffen, saftig und fein mit Aromen von Beeren und Gewürzen, feinem Tannin, animierender Säure und sehr gutem bis langem Abgang.

2009 Sulér Riviera del Garda Superiore, Comincioli, Lombardei, Italien

2006 Sankt Laurent Konkret, MeinklangIn der Nase Noten von Moosbeeren, Kirschen, Blumen, roten Johannisbeeren und Gewürzen (Liebstöckel). Im Mund kraftvoll mit Aromen von roten Beeren, teilweise eingemachten Pflaumen und Gewürzen, harmonischem Tannin und gutem Abgang; weich und saftig-präzise zugleich.

1997 Brunello di Montalcino, Siro PacentiZum Ausklang des Abends gab es schließlich noch selbst gemachtes Konfekt. Mein großer Dank gilt dem kochbegnadeten und weinerfahrenen Gastgeber ebenso wie den übrigen Gästen – gemeinsam verlebten wir stimmungsvolle und äußerst genussreiche Stunden, die uns sicher noch lange im Gedächtnis bleiben werden.

2001 Gran Reserva 904, La Rioja Alta                         2001 Springflat Shiraz Heathcote, Wild Duck Creek Estate2009 Sulér Riviera del Garda Superiore, Comincioli

Epilog

1985 Essinger Osterberg Scheurebe Eiswein, Winfried Frey & SöhneMehrere Wochen nach diesem Abend kam ich in anderem Rahmen noch in den Genuss eines weiteren höchst denkwürdigen Weins, der diesen Blogbeitrag hiermit würdig beschließen möge – weil er dessen Titel bestens entspricht:

1985 Essinger Osterberg Scheurebe Eiswein, Winfried Frey & Söhne, Pfalz, Deutschland

In der Nase Noten von Karamell, schwarzen Nüssen und eingelegten roten Beeren sowie Anklängen an Akazienhonig und etwas Tabak, mit Luft kristallisieren sich kandierte Walnüsse heraus. Im Mund sehr fein und nachhaltig mit Aromen von Erdbeerkonfitüre, Aprikosenlikör, Minze und Rumrosinen, feiner Süße, präsenter Säure und zartem Schmelz, fragil, aber selbstbewusst und erstaunlich frisch mit sehr gutem Abgang.