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Auf Getränkekarten in der nicht allzu gehobenen Gastronomie finden sie sich immer wieder, doch vermehrt begegnen sie mir jetzt auch in Presseartikeln: Aperitif und Digestif, am Ende mit -v geschrieben, also Aperitiv und Digestiv. Auch wenn ich die Beweggründe für diese Schreibweise im Ansatz sogar nach vollziehen kann – sie ist und bleibt falsch; und ich will hier erklären, warum.

Der Aperitif ist laut dem Kluge, dem Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache, ein „alkoholisches Getränk (zum Anregen des Appetits)“. Dabei handelt es sich bevorzugt um Schaum- oder Süßwein oder um ausgewählte Cocktails oder Shortdrinks, die man vor einer (oft mehrgängigen) Mahlzeit zu sich nimmt, um Körper und Geist auf das kulinarische Erlebnis einzustimmen und die Produktion der Verdauungssekrete zu stimulieren. Seinen Ursprung hat das Wort im Lateinischen als Adjektiv aper(i)tivus, das vom Verb aperire (= öffnen) abgeleitet ist. Der Kluge verrät zur Herkunft: „Zunächst als Fachwort der Medizin entlehnt mit der Bedeutung ‚öffnendes, abführendes Heilmittel‘. [...] Die neue Bedeutung entsteht im Französischen im 19. Jh. und wird im 20. Jh. mit der französischen Lautform übernommen.“

Auch der Digestif kommt ursprünglich aus der Medizin; dort ist ein Digestivum ein verdauungsförderndes Mittel. Dieser Begriff geht ebenfalls auf ein lateinisches Adjektiv zurück, nämlich digestivus vom Verb digerere (= trennen, teilen, ordnen, verteilen; in übertragener Bedeutung: verdauen). Diese sprachliche Herkunft erklärt sogar präzise, weshalb der Digestif im Volksmund auch „Verteiler“ genannt wird. Allgemeiner kann er als Verdauungsschnaps bezeichnet werden, denn es handelt sich um hochprozentige Spirituosen (beispielsweise Wein- oder Obstbrand oder auch Kräuterlikör), die man nach einem reichlichen Essen einnimmt, um den Magen-Darm-Trakt bei seiner Arbeit zu unterstützen und dem Völlegefühl entgegenzuwirken. (Wobei inzwischen erwiesen ist, dass Schnaps in solchen Fällen der Verdauung alles andere als zuträglich ist.)

Aperitif und Digestif wirken sprachlich nun ähnlich wie zahlreiche andere Fremd- oder Lehnwörter aus dem Lateinischen, die ihrem Ursprung gemäß auf -v enden und mit denen die Getränkebezeichnungen gleichgesetzt oder besser verwechselt werden. In diesen, also den anderen Fällen wurden aus Adjektiven (aktiv, passiv, kollektiv, objektiv, fiktiv) eigenständige Substantive (Aktiv, Passiv, Kollektiv, Objektiv, Infinitiv, Konjunktiv – auffällig oft übrigens grammatische Begriffe, doch das soll hier nicht weiter analysiert werden), wobei im Deutschen bei der maskulinen und der neutralen Form eine einheitliche Endung auf -v gegeben ist; feminine Substantive, die auf diese Weise gebildet wurden, enden auf -ve (alternativ; Alternative).

Dem Kluge zufolge ist aber, wie gesehen, mindestens der Aperitif nicht direkt aus dem Lateinischen, sondern über das Französische in die deutsche Sprache gelangt. Dafür spricht auch, dass Aperitif gelegentlich auch in der (Original-)Schreibweise mit Akzent auf dem E, als Apéritif, anzutreffen ist. Dass für den Digestif derselbe Herkunftsweg gilt, beweist die eindeutig französische Aussprache, denn das G wird immer als stimmhaftes Sch artikuliert. Untermauert werden diese Thesen auch kulturgeschichtlich, wie ich selbst in meiner Diplomarbeit aus dem Jahr 1998 ausgeführt habe: „Das Gastronomie- und Hotelwesen in Europa hat seinen Ursprung und seine Tradition in Frankreich – einerseits in Geographie und natürlichen Ressourcen begründet, andererseits historisch bedingt.“ (S. 25/26) „Bereits im 17. Jahrhundert genoss die französische Küche großen Einfluss und einen hohen Bekanntheitsgrad in Europa.“ (S. 24) Somit gibt es außer den Lexikonangaben weitere sehr konkrete Indizien dafür, dass die Begriffe Aperitif und Digestif als Getränkebezeichnungen aus dem Französischen stammen.

Im Französischen jedoch tragen männliche Substantive ebenso wie ihre adjektivischen Pendants auch die maskuline Endung -f (z.B. objectif, infinitif); weibliche Substantive haben die entsprechende feminine Endung -ve (z.B. alternative, coopérative). Da apéritif und digestif im Französischen maskulin sind, schreiben sie sich also am Ende mit -f. Dabei korreliert die männliche Form möglicherweise mit le boisson (= das Getränk). Die maskuline Schreibweise mit -f am Ende wird im Deutschen für Aperitif und Digestif übernommen. Logisch, oder?