„Selber testen oder selber Schuld!“ So schreibt Merum-Chefredakteur Andreas März in Ausgabe 5/2011 seines Magazins. Das inspirierte mich zu diesem Beitrag über Weinkritiken. Wer braucht Weinkritiken, und warum? Wer schreibt Weinkritiken, und wie sind sie formuliert? Das Thema ist nicht neu, hat aber in den vergangenen Wochen einige aktuelle Impulse bekommen.
Die Welt der Weine ist groß und unübersichtlich. Weinkritiken sind darin Wegweiser, die Orientierung geben; doch laufen muss man selber – das meint Andreas März. Er ermutigt dazu, die Welt der Weine selbst zu erkunden, neugierig zu sein und so viel wie möglich zu probieren. Diesen Ratschlag bekräftige ich mit Nachdruck. Um jedoch eine gewisse Vorauswahl aus der unüberschaubaren Fülle von Weinen zu ermöglichen, um dem Weintrinker einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich ein Wein geschmacklich und stilistisch darstellt, damit er seine eigenen Präferenzen bilden und anwenden kann, dafür sind Weinkritiken sinnvoll. Im Idealfall verbalisieren dabei geschulte und geübte Sensoriker das, was sie an Aromen im Wein wahrnehmen – und das auch noch verständlich und nachvollziehbar. Nur so kann die Weinkritik dem Verbraucher die Hilfestellung geben, die sie sich zur Aufgabe gemacht hat, und an diesem Anspruch muss sie sich messen lassen.
Objektivität durch Punkte?
Das größte Problem ist dabei die Objektivität bzw. die Objektivierbarkeit der sensorischen Wahrnehmung. Weinhändler Martin Kössler von der K&U Weinhalle in Nürnberg – übrigens von Hause aus Chemiker – bringt das in der Ausgabe 5/2011 seiner WeinZeit auf den Punkt: „Unsere Sinne sind nicht objektiv, sondern gehorchen der persönlichen Geschmacks- und Geruchserfahrung, die unser Verständnis dessen, was wir essen und trinken, entscheidend beeinflusst.“ Kössler argumentiert von der Nachfrageseite aus und stellt den Kunden in den Mittelpunkt der Weinkritik: „Sein Glaube an Medaillen und Auszeichnungen, Verkostungsergebnisse und Punktebewertungen ist ungebrochen und bestätigt die Branche in ihrem Tun. Beim Autokauf wird gerechnet, gezockt, verhandelt und sich wochenlang informiert, beim Einkauf von Wein, wo es z.B. in Bordeaux nicht selten um ähnlich hohe Summen geht, verlässt man sich merkwürdig naiv auf kaum nachvollziehbare Punktebewertungen aus fragwürdig unklaren Kriterien.“ Diese Ansicht ist provokativ, aber aus der Kundenperspektive vollkommen legitim – nein, eigentlich sogar zu wenig verbreitet.
Zur Objektivität von Weinbeurteilungen und auch zu verschiedenen Bewertungssystemen habe ich mich bereits vor gut einem Jahr in einem einschlägigen Blog-Beitrag geäußert. Der Tenor ist – natürlich – derselbe wie bei Martin Kössler, und auch damals habe ich bereits ansatzweise zwischen der Weinbeschreibung (mit Worten, gewissermaßen der qualitativen Beurteilung) und der Weinbewertung (mit Punkten, also Zahlen, gewissermaßen der quantitativen Beurteilung) differenziert. Auch auf das weit verbreitete 100-Punkte-System zur Weinbewertung bin ich in jenem Beitrag eingegangen und habe dabei logischerweise auch den weltweit einflussreichsten Weinkritiker Robert M. Parker jr. erwähnt, der dieses System international etabliert hat. Dass indessen weder dieses Punktesystem noch insbesondere die Urteile des Herrn Rechtsanwalt Parker über jeden Zweifel erhaben sind, zeigen mehrere jüngere Artikel in deutschen Printmedien: In der Financial Times Deutschland vom 27. Oktober beschreibt Sarah Sommer einen aktuellen „Streit um [die] Bewertung von Wein“, und in der Welt vom 23. Oktober bezeichnet Manfred Klimek Robert Parker als „Wein-Ratingagentur“. Das 100-Punkte-Schema wird auch beim Weinführer von Wein-Plus angewandt, da es am differenziertesten ist, doch auch Wein-Plus ist sich der Objektivitätsproblematik bewusst: „Es scheint [...] weltweit verschiedene Auffassungen darüber zu geben, wie streng dieses System interpretiert werden sollte“, schreibt Chefverkoster Marcus Hofschuster in seiner Erklärung der Bewertungsmaßstäbe. An anderer Stelle wird er noch deutlicher und moniert, dass „es unter Weinführern inzwischen einen Wettbewerb zu geben scheint, wer die höchsten Punkte vergibt: Man wirbt mit hohen Punkten natürlich lieber, auch muss man keinen Gegenwind der Winzerschaft fürchten. Leider hat sich auf diese Weise inzwischen fast die ganze Branche korrumpiert – und es gibt mehr als genug Weinliebhaber, die das zumindest ahnen.“
Gemeinhin gelten Zahlen als „eindeutiger“ oder „objektiver“ als Worte. Zahlen (das heißt bei uns hier: Punktezahlen) sollen Sachverhalte (hier: die Weinqualität) bewerten und vergleichbar machen – dasselbe Prinzip kennt jedes Kind bereits von den Schulnoten. Voraussetzung für die Bewertbarkeit eines Sachverhalts (also dafür, dass ihm ein bestimmter Wert zugewiesen werden kann) ist jedoch die Messbarkeit von Kriterien, anhand deren er beurteilt werden soll. Eine gute Zusammenfassung zu dieser Frage liefert die Diplomarbeit „Wein in Zahlen – eine informatische Aufbereitung“ von Johannes Fiala (Weinakademie Österreich, 2004). Messbare und damit bewertbare Kriterien liegen allen Punktesystemen zugrunde, doch können zwei Weine, die dieselbe Punktzahl haben, sich – aromatisch, stilistisch, charakterlich – vollkommen unterschiedlich präsentieren. Die Punkte machen die Weine eben nur scheinbar miteinander vergleichbar, daher ist die qualitative Dimension unerlässlich, und die verbale Weinbeschreibung kommt ins Spiel.
Die Sprache der Kritiker
Damit sind wir unweigerlich bei der so genannten Weinsprache, der sich Experten bedienen. Eine einführende Zusammenfassung in das Thema Weinsprache findet sich bei Wikipedia; ebenfalls kompakt, aber detaillierter ist der Eintrag zum Thema Weinansprache im Glossar von Wein-Plus. Was hier sehr deutlich wird: Die Begriffe, mit denen ein Wein „professionell“ beschrieben wird, sind die einer veritablen Fachsprache und insofern nicht immer allgemein verständlich. Ich will in diesem Beitrag nun nicht einzelne Begriffe erklären – das leisten bereits hinreichend die beiden genannten Online-Lexika (siehe Listen auf den verlinkten Seiten). Ich will jedoch auf einzelne Begriffstypen, genauer: Typen von Adjektiven eingehen, die in der Weinkritik verwendet werden. Die Wörter werden dabei eher formal als inhaltlich untersucht.
Zum einen hat die Weinsprache ein Spezialvokabular, das sich aus Fremdwörtern zusammensetzt. Beispiele für solche oft auf lateinische oder griechische Wörter zurückgehende Begriffe sind vegetabil (an Pflanzen oder Gemüse erinnernd), floral (an Blumen bzw. Blüten erinnernd), animalisch (an Tiere erinnernd), laktisch (an Milch oder Butter erinnernd) oder phenolisch (scharf und bitter, an Lösungsmittel erinnernd).
Zum anderen – und das ist begrüßenswert, da so ein vollständiges Primat der Fremdwörter, wie es in vielen anderen Fachsprachen besteht, verhindert wird – kommt in der Weinsprache eine Vielzahl von Begriffen vor, die allein auf deutsche Wörter zurückzuführen sind. Dies sind Adjektive wie nussig, tabakig, kräuterig oder unterholzig, die alle gleich und grammatikalisch korrekt gebildet sind (Substantiv + Adjektiv-Endung -ig). Auch wenn grammatisch an diesen Begriffen nichts auszusetzen ist, klingen sie dennoch irgendwie gewöhnungsbedürftig oder zumindest speziell. In einigen Fällen wird die Kopplungsstelle zwischen Substantiv und Adjektiv-Endung auch abgeschliffen, etwa bei gemüsig, zitronig, schokoladig oder buttrig, wo Buchstaben (hier zufällig überall ein E) fehlen. Alle diese Adjektive geben an, dass der Wein die Aromen (oder im Falle von schmelzig die Textur) des betreffenden Substantivs (d. h. linguistisch präzise: dessen Denotats) aufweist.
Wortkreationen jenseits der Regularität
Dieser Wortbildung sind jedoch Grenzen gesetzt. Begriffe wie kaffeeig oder kakaoig sind nicht in Gebrauch, was zweifellos mit der im Deutschen sehr unüblichen direkten Aufeinanderfolge von drei Vokalen zusammenhängt. Auch Wörter wie zitrusig oder kokosig erscheinen nirgendwo, aber hier würde ja auch kein eigenständiges Substantiv die Basis bilden, sondern lediglich der Teil eines Substantivs; zitrusfruchtig oder kokosnussig lassen sich dagegen vorstellen und sogar nachweisen. Wo die Bildung von geeigneten Adjektiven nicht möglich ist, umschreiben Weinkritiker die sensorischen Eindrücke gern mit Formulierungen wie „Aromen von“, „Noten von“, „Spuren von“ oder „Anklänge an“ und setzen dahinter gleich die entsprechenden Substantive, die sonst Eingang in die adjektivische Form gefunden hätten. Über Metaphern aus dem Bereich des Klangs in der Weinsprache habe ich bereits vor mehreren Monaten einen eigenen Blog-Beitrag verfasst.
Eine Adjektiv-Bildung gibt es jedoch, die nicht aus einem Substantiv hervorgeht und die dennoch weite Verbreitung in der Weinwelt hat: trinkig. Hier steht ein Verbstamm Pate für das Adjektiv, was grammatisch zumindest bedenklich erscheint, semantisch jedoch hoch problematisch ist. Die Adjektive von Verben werden aus den Partizipien gebildet – im Fall von trinken hieße das trinkend oder getrunken. Damit lässt sich aber kein Wein beschreiben, erst recht nicht sensorisch; der Wein trinkt nicht selbst, und wenn er getrunken ist, ist das eine sachliche Feststellung, aber keine Bewertung. Indessen ist der Gedankengang hinter der Bildung von trinkig nachvollziehbar und orientiert sich an der – wie gesehen – üblichen Praxis, Begriffe für die Weinbeschreibung zu finden (Wort bzw. Wortstamm + -ig). Und alle, die mit dieser Fachsprache und den Prinzipien ihres Vokabulars vertraut sind, – nämlich die Weinexperten und -kritiker – verstehen ein Wort wie trinkig. Doch damit nicht genug: Dieses Adjektiv hat sogar wiederum ein substantivisches Pendant: die Trinkigkeit – die irrwitzige Substantivierung einer ohnehin schon abstrus anmutenden Wortschöpfung. Dabei existieren bereits mehrere sehr geeignete und leicht verständliche Substantive, um das auszudrücken, was Trinkigkeit meinen soll: Trinkfreude, Trinkspaß oder Trinkvergnügen. So dass trinkig ganz einfach mit „gut zu trinken“ zu übersetzen wäre.
Eine weitere Besonderheit will ich mit Blick auf Adjektive noch ansprechen: Es gibt Weinbeschreibungen, in denen von „bitterlichen Aromen“ die Rede ist. Das Wort bitterlich erscheint üblicherweise ausschließlich als Adverb (!) in der Formulierung „bitterlich weinen“. Es geht zweifellos auf bitter zurück, doch die Verwendungsweise in der Weinsprache ist neu bzw. außergewöhnlich. Bitterlich wird hier aus seiner metaphorischen Bedeutung (im Sinne von schmerzhaft, qualvoll) herausgelöst und in die originäre Begriffswelt der geschmacklichen Wahrnehmung zurückgeholt, wo es als Abschwächung zu bitter fungiert: „bitterliche Aromen“ sind nicht so stark oder eindeutig wie „bittere Aromen“. Formal wird es dabei gleichzeitig vom Adverb zum Adjektiv. Diese Umwandlung halte ich für einen – vermutlich eher unbewussten, aber sehr effektiven – Kunstgriff in der Weinkritik.
Gegen „Krypto-Poesie“
Wie bereits am Grenzfall trinkig gesehen, können Wortbildungen und auch Satzbildungen mitunter anstrengend bis albern werden. Wenn die Weinsprache zu ausschweifend wird, wenn zu viele Bilder und Metaphern zusammenkommen und allzu (bemüht) originelle Analogien konstruiert werden, wenn der Satzbau eher abenteuerliche Formen annimmt, wenn die blumige Sprache blümerant wird und mehr Stilblüten und Katachresen hervorbringt als sinnvolle, sachlich angemessene und nachvollziehbare Beschreibungen – dann hat die Weinkritik ihren Zweck verfehlt und gereicht allenfalls dem Autor zur Labsal ob der eigenen (vermeintlichen) Genialität. Manchmal entsteht geradezu der Eindruck, dass mit Weinbegriffen Bullshit-Bingo gespielt wird, so dass die Elaborate dann gar keinen Sinn ergeben. Weinjournalist Andreas Essl hat im November 2009 einen äußerst lesenswerten Artikel über „Die Poesie der Flaschen“ geschrieben. Auch Weinblogger Dirk Würtz wendet sich in einem Beitrag vom Oktober 2011 gegen Wichtigtuerei in der Weinansprache: „[...] Weine sind nicht alleine reserviert für wichtige Geheimzirkel, die sich in kryptischer Sprache, abseits der ‚nichtwissenden Idioten‘ darüber auslassen, ob der Wein eher nach Maulwurfshügel oder leicht karamellisierter Sternfrucht schmeckt!“ Und Michael Pleitgen, Dozent und Berater von der Weinakademie Berlin, beschäftigt sich in einem Blog-Beitrag vom November 2011 sogar mit der philosophischen, metaphysischen und ideologischen Dimension von Weinbeschreibungen.
Etwas Geheimnisvolles haftet der Weinsprache offenbar nach breiterem Verständnis an. So schreibt etwa Weinjournalist und Publizist Dr. Eckhard Supp in einem Blog-Beitrag vom Oktober 2010 über „Weinkritik als Kommunikation oder Geheimsprache“ und verweist dabei nicht nur auf den erwähnten Artikel von Andreas Essl, sondern findet seinerseits treffende Worte für die Sprache einiger Weinautoren: von „Spezialvokabular“ (siehe oben) über „ausufernd“, „barock“ oder „schwülstig“ bis zu „seitenlange Aneinanderreihungen der unsinnigsten Adjektive und gewagtesten Vergleiche“, „‚literarische‘ Eigenkompositionen“ und „krypto-poetische Ergüsse“. Diese Argumentation greift wiederum Dirk Würtz in einem Blog-Beitrag vom Juli 2011 über „Kryptische Weinsprache“ auf und stellt fest: „Natürlich ist Wein manchmal so komplex, dass ein einfaches ‚lecker‘ nicht ausreicht. [...] Aber muss es denn gleich so sein, dass ein normaler Mensch ein Dechiffriergerät braucht?“ In einem Punkt sind sich Supp, Würtz und zahlreiche andere Autoren, Journalisten und Blogger aus der Vinosphäre einig: Nachvollziehbarkeit muss der Maßstab und die Leitlinie jeder Weinkritik sein. Und genau so sehe ich es auch.
Andreas Essl sieht die „primäre Aufgabe“ der Weinkritik darin, „Wein in exakten und doch animierenden Worten dem Konsumenten näher zu bringen“. Er geht auch auf die neuen Medien (Stichwort Web 2.0) ein, die „die Diktion zweifellos verändert“ hätten: „Wein-Blogs, Videoblogs und Internetforen sind zu einem wesentlichen Einflussfaktor geworden. Dass sich damit die linguistische Dimension der Weinwelt zusätzlich ausgeweitet hat, scheint naheliegend. Zusätzlich hat sich allerdings auch die Rigidität der Weinbeschreibung demokratisiert und gelockert.“ Ausführlich befasst sich mit dem Thema Weinkritik im Web 2.0 – einmal mehr – Dirk Würtz, der in einem Blog-Beitrag vom Juli 2011 der Frage nachgeht: „Wer darf eigentlich über Wein schreiben?“ Die Antwort gibt er selbst: „Natürlich darf jeder im Web 2.0 etwas über Wein schreiben und es soll auch jeder.“ Doch das habe auch Konsequenzen: „Damit endet der Monopolstatus der Weinberichterstattung seitens der traditionellen Medien. Das heißt aber nicht, dass diese keiner mehr braucht oder dass sie abgeschafft gehören.“ Die Chance, die sich aus den neuen Medien ergibt, ist mehr Diskussion von und um Weinkritiken; die Autoren erhalten – sofern sie es wollen – schnelles und direktes Feedback nicht nur zu ihrem Urteil, sondern auch zu dessen Verbalisierung. So können sich Sender (Kritiker) und Empfänger (Konsument, Winzer, Händler) direkt über die Botschaft (die Weinkritik) austauschen und deren Wert im Diskurs verifizieren.
Die „Lecker“-Diskussion
Noch ein Wort zur „Lecker“-Diskussion, nachdem davon im Würtz‘schen Blog-Beitrag über die „Kryptische Weinsprache“ schon die Rede war: Ein Großteil der Weinexperten hält den Begriff „lecker“ als Weinbeschreibung für unangemessen, wenn nicht gar unzulässig. Eckhard Supp nennt ihn banal, und auch Marcus Hofschuster ist entschiedener Gegner dieses Attributs im Zusammenhang mit Wein. Die Kommentare zu Würtz‘ Beitrag auf seiner Blog-Website und bei Facebook zeugen von der Leidenschaft, die dieser Frage entgegengebracht wird. Weinjournalist Jens Priewe vergleicht in einem Interview die Bezeichnung „lecker“ für einen Wein mit der Bezeichnung „nett“ für einen Menschen; sie sei zu oberflächlich, und nach dem Urteil „lecker“ sei keine weitere Weinbesprechung mehr möglich. Ich stimme dem zu, doch weshalb ist das so?
Der Begriff „lecker“ ist denkbar subjektiv. Er besagt im Grunde genommen nur „schmeckt mir“ (das Personalpronomen hier ist entscheidend); etwas, das jemand als „lecker“ bezeichnet, empfindet er als wohlschmeckend und angenehm. „Lecker“ wird gemeinhin (oder besser: ursprünglich) assoziiert mit süß/weich, also Eigenschaften, wie etwa Schokolade oder Karamellbonbons sie haben. Hier kommt womöglich sogar eine frühkindliche Prägung ins Spiel. Doch mit diesen Assoziationen wird „lecker“ kaum einem (ernst zu nehmenden) Wein gerecht. Es ist ein höchst undifferenziertes, ein pauschales Urteil, eine Plattitüde – und daher für jemand anderen als den Urteilenden selbst kaum nachzuempfinden. Das heißt: Bei „lecker“ wird die Nachvollziehbarkeit, das Kernpostulat der Weinkritik, nicht eingelöst. Es müsste erklärt werden, inwiefern oder wieso der Wein „lecker“ ist, aber das ist schwer möglich. Denn es ist unklar, was „lecker“ konkret bedeutet – es ist allenfalls eine positive Empfindung, doch diese ist nicht, zumindest nicht angemessen in sensorische Dimensionen fassbar.
Die „Lecker“-Diskussion läuft auf die uralte Dichotomie hinaus: „Der Wein schmeckt mir (vulgo: ich finde ihn lecker)“ oder „Der Wein schmeckt mir nicht“. Wer dann einen Schritt weiter geht und fragt, aus welchen Gründen der Wein schmeckt oder nicht schmeckt (und wonach er schmeckt), der ist auf dem richtigen Weg – ganz im Sinne des Themas und Anliegens dieses Beitrags. Und auf eben diesem Weg helfen professionelle Weinkritiken als Begleiter.