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Das Marktforschungsinstitut The Business Target Group hat die Namen von 56.328 Restaurants in Deutschland untersucht. Gerade im gutbürgerlichen Segment fiel dabei die Dominanz traditioneller Bezeichnungen auf, wie etwa Krone, Adler, Linde oder Post. Die Gründe dafür sind historisch bedingt, denn die gutbürgerliche Küche hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, das demnach auch den Rahmen für die folgenden Betrachtungen bildet.

Doch zunächst zur Untersuchung selbst. Abgesehen von Restaurantnamen hat The Business Target Group auch die Bezeichnungen von Gasthöfen und Privathotels analysiert. Wie groß hier die Zahl der Betriebe war, wird leider nicht angegeben. Die Ergebnisse sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt, die eine Rangfolge der Häufigkeit dokumentiert:

  Restaurant Gasthof Hotel
1. Ratskeller Krone Hof
2. Linde Post Haus
3. Krone Adler Post
4. Post Linde Schloss
5. Krug Sonne Krone
6. Brauhaus Hirsch Mühle
7. Adler Löwe See
8. Mühle Lamm Villa
9. Dorfkrug Ochse Adler
10. Weinstube Engel Löwe

Eine erste Auswertung zeigt, dass drei Begriffe in allen drei Namenslisten vorkommen: Krone, Post und Adler. Drei weitere Begriffe kommen in jeweils zwei Listen vor: Linde (für Restaurants und Gasthöfe), Mühle (für Restaurants und Hotels) sowie Löwe (für Gasthöfe und Hotels). Thilo Lambracht, Geschäftsführer von The Business Target Group, gibt bereits einige Erklärungen: „Die gewünschte oder bestehende adlige Herkunft der Herberge wird gerne durch die Begriffe ‚Schloss‘ oder ‚Krone‘ ausgedrückt. Aber auch der Hinweis auf die historische Funktion als Haltepunkt der Postkutschen mit dem Namen ‚Hotel zur Post‘ ist sehr beliebt.“ Zudem hält Lambracht fest: „In Deutschland zählen die Attitüden starker Tiermythologien noch immer sehr viel.“ Ausgehend von diesen Feststellungen und Überlegungen lassen sich die Namen der gastgewerblichen Betriebe in verschiedene Kategorien zusammenfassen, die drei fundamentale Funktionen erfüllen: Versorgung, Geselligkeit und Schutz – gar nicht zufällig die Grundtugenden des Gastgebers.

Der Reiz des Höheren

Bezeichnungen wie Haus, Hof, Villa, Brauhaus und Weinstube erklären sich von selbst. Sie beziehen sich unmittelbar auf das Gebäude bzw. die Lokalität und ihr Angebot. Das kann ebenso für Schloss gelten, sofern der Gastronomie- oder Hotelbetrieb in einem solchen untergebracht ist. Er kann jedoch auch nur in der Nähe eines Herrschaftssitzes liegen und seinen Namen daher beziehen. Dann verhält es sich mit der Bezeichnung ähnlich wie bei See oder Mühle: Restaurant, Gasthof oder Hotel heißen nach einer markanten Stelle (im heutigen Sprachgebrauch: Sehenswürdigkeit) in ihrer näheren Umgebung, wobei es freilich – wir erinnern uns beispielsweise an die Fernsehfamilie Drombusch – auch Gastbetriebe in Mühlen selbst gibt.

Im Fall des Schlosses spielt, wie von Thilo Lambracht ausgeführt, auch der Reiz höherer Herkunft eine Rolle. Gerade das Bürgertum strebte gern zum Adel, eine höhere gesellschaftliche Position verhieß Wohlstand und Einfluss, es ging um Anerkennung und Teilhabe. So hatten Gasthäuser, die Krone hießen, einen Nimbus des Hochherrschaftlichen, in dessen Aura (vulgo: Dunstkreis) die Menschen sich gern begaben – und begeben, siehe etwa der Wiener Opernball oder die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton. Im übertragenen Sinne gilt dieses Streben nach Übergeordnetem auch für die Gasthof-Bezeichnungen Sonne und Engel: positive Attribute, die Kraft, Wärme, Güte und Wohlbefinden ausstrahlen – auch dies wichtige Eigenschaften eines Gastgebers. Sonne und Engel verlassen als Elemente des Himmels sogar die irdische Sphäre, der ein weltlicher Adelssitz immerhin noch verhaftet ist.

Schutz- und Nutztiere

Die Attraktivität von Macht und Stärke – siehe auch das Zitat von Thilo Lambracht oben – setzt sich dann in bestimmten Tieren fort, deren Namen ebenfalls gern für Gastronomiebetriebe verwendet wurden und werden: Löwe, Adler, Hirsch, das sind stolze, kräftige, wehrhafte Kreaturen, die Schutz und Sicherheit bieten können – für Reisende ein wichtiger Aspekt bei der Wahl ihrer Unterkunft. Nicht zufällig kommen Löwe und Adler, wie gesagt, in zwei Listen vor, gilt der Adler doch als der „König der Lüfte“ und der Löwe gar als „König der Tiere“. Parallelen zur geschilderten Vorliebe für die Aristokratie drängen sich geradezu auf.

Der Hirsch hat indessen mit dem Ochsen und dem Lamm – alle aus der Liste der Gasthof-Namen – eine Gemeinsamkeit: Das Fleisch aller drei Tiere lässt sich gut zubereiten und erfreut sich als Mahlzeit großer Beliebtheit, zumal in der gutbürgerlichen Küche, die deftig und fleischgeprägt ist. So kann in diesen Fällen die Bezeichnung der Lokalität auch auf eine besondere Spezialität hinweisen.

Was den Namen Post betrifft, so ist der obigen Aussage von Thilo Lambracht nichts hinzuzufügen. Somit bleiben noch drei Begriffe, die genauer zu erläutern sind: Ratskeller, (Dorf-)Krug und Linde. Sie stammen alle aus der Liste mit den Restaurantnamen.

Gesellschaft und Geselligkeit

Der Ratskeller ist direkt verbunden mit dem Rathaus, dem Verwaltungs- und Regierungssitz jedes Ortes. Daher verwundert es nicht, dass Ratskeller die häufigste Restaurantbezeichnung in Deutschland ist – jede Stadt und Gemeinde hat zumindest ein Rathaus, da ist die dazugehörige gesellige Instanz nicht weit. In der Gastwirtschaft, häufig tatsächlich im Keller des Rathauses und damit innerhalb des Ortes zentral gelegen, kam man zusammen, um sich auszutauschen, um zu essen und zu trinken und nicht zuletzt, um die Politik aus den Ratssälen im Kleinen fortzusetzen. Hier gab (und gibt) es den Stammtisch für die Honoratioren (Entscheidungsträger und Meinungsbildner – damals Ratsherren, Pfarrer, Lehrer und Kaufleute); zu beobachten auch heute noch mindestens in vielen Kleinstädten. Ein bekannter Ratskeller, der allerdings in einer Großstadt liegt und überdies einen renommierten Weinhandel beherbergt, ist der Bremer Ratskeller. Und wer aufgepasst hat, kann jetzt auch sofort ein klassisches gutbürgerliches Gericht nennen – richtig: den Ratsherrentopf, zubereitet aus verschiedenen Fleisch- und Gemüsesorten und Kartoffeln.

Der Krug steht für Versorgung und Verpflegung, also eine Grundfunktion jedes gastronomischen Betriebs. Zum einen bezieht er sich auf den Brunnen als zentrale Wasserstelle des Ortes. Hier fand auch ein großer Teil des Soziallebens statt, und ein Wirtshaus nahe der Wasserquelle hat allein praktisch sehr viel Sinn. Zum anderen meint Krug das Schank- und Trinkgefäß, aus dem außer Wasser auch Wein und Bier ausgeschenkt wurden. Daran erinnert heute noch die österreichische Bezeichnung „Krügerl“ für ein großes Glas Bier. Ein berühmter Gastbetrieb namens Krug ist das Hotel und Restaurant der Familie Laufer in Hattenheim im Rheingau.

Wieso ist aber nun ausgerechnet ein Baum, die Linde, der zweithäufigste Name für deutsche Restaurants? Abgesehen von ihrem hohen Nutzwert (das Holz eignet sich zur Möbelherstellung und für die Bildhauerei, aus den Blüten lassen sich Tee und Honig gewinnen) hat die Linde eine kulturgeschichtliche Bedeutung. Bei den Germanen galt sie als heiliger Baum und wurde mit Freya, der nordgermanischen Göttin der Liebe und der Ehe, assoziiert. Daher hatten sehr viele Orte in Mitteleuropa eine so genannte Dorflinde im Zentrum, die als Treffpunkt zum Nachrichtenaustausch und zur Brautschau diente. Der germanischen Rechtstradition des Thing folgend, tagte bei der Linde auch das Dorfgericht. Die historische Bedeutung der Linde findet sich in zahlreichen Liedern und Gedichten, vom „Lindenbaum“ von Wilhelm Müller (vertont von Franz Schubert im Liederzyklus „Die Winterreise“) bis zu Willy Schneiders „Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde“, sowie darüber hinaus in namhaften Stätten wie der Berliner Prachtstraße Unter den Linden und der Lindenterrasse des Hamburger Hotels Louis C. Jacob. So war die Linde in früherer Zeit ein wichtiges Symbol und ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lebens, was sich heute noch in der deutschen Gastronomielandschaft widerspiegelt.