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Bereits genervt von der Inflation immer derselben Anglizismen in der touristischen Fachpresse, entdecke ich diese nun auch in einem Weinmagazin. Ein Aufruf zu mehr sprachlicher Sorgfalt.

Reiseindustrie und Zimmerraten

Gestern las ich in einem Presseartikel von der „Reiseindustrie“ und musste mich gleich mal wieder aufregen. Immer wieder stolpere ich in den Medien über Anglizismen, also falsch übersetzte englische Begriffe, die dann im Deutschen keinen Sinn ergeben – offenbar, ohne dass das jemand merkt oder jemanden stört. Charakteristisch für die „Industrie“ im Deutschen ist die Massenfertigung von Produkten, in der Regel mit Hilfe von Maschinen. Eine Reise ist kein materielles Produkt, das in hohen Stückzahlen maschinell gefertigt wird – auch nicht im Pauschaltourismus. Was soll eine „Reiseindustrie“ anbieten? Flüge vom Fließband?

Ursprung dieses Anglizismus‘ ist der englische Begriff „travel industry“, der in den internationalen Fachkreisen üblich ist. „Industry“ bezeichnet im Englischen jedoch nicht nur das produzierende Gewerbe im deutschen Sinn, sondern auch generell einen ökonomischen Teilbereich, zu übersetzen mit „Branche“, „Sektor“ oder – originär deutsch – „Wirtschaftszweig“. Insofern wäre „Reisebranche“ oder „Reisewirtschaft“ die angemessene Übersetzung von „travel industry“.

Ähnlich verhält es sich mit den „Zimmerraten“, die seit geraumer Zeit in der deutschen Tourismuslandschaft und -presse herumgeistern. Eine „Rate“ im Deutschen ist ein Teilbetrag einer größeren Geldsumme, beispielsweise bei einem Kredit. Der englische Begriff „room rate“, auf den der Anglizismus „Zimmerrate“ zurückgeht, hat jedoch nichts mit Teilzahlungen zu tun. „Rate“ im Englischen bedeutet außer „Anteil“ auch „Gebühr“ oder einfach „Preis“. So ist der Ausdruck hier zu übersetzen mit „Zimmerpreise“ oder „Übernachtungspreise“. Müsste ich „Zimmerraten“ bezahlen, könnte ich nach einer Hotelübernachtung für 120 Euro beispielsweise ein Jahr lang monatlich zehn Euro an das Hotel überweisen.

Weinindustrie und Weinwirtschaft

In der Ausgabe 4/10 des Sommelier-Magazins stieß ich nun heute auf den Begriff „Weinindustrie“. Für ihn gilt prinzipiell dasselbe wie für die „Reiseindustrie“, doch hier ist die Sache differenzierter zu betrachten. In dem Satz „Die Weinindustrie ist unglaublich dynamisch und zwar in allen Bereichen: von den großen Konzernen bis hin zu den kleinen Handwerkern.“ (Seite 30) zeigt sich allein inhaltlich, dass hier die gesamte Branche gemeint ist. „Weinindustrie“ ist also eine unzulängliche Übersetzung von „wine industry“, was die kanadische Interviewpartnerin von Chefredakteurin Kristine Bäder vermutlich gesagt hat; „Weinwirtschaft“ wäre angemessen.

Drei Seiten weiter spricht Autor und Sommelier Gunnar Tietz ebenfalls von der „Weinindustrie“, und zwar zweimal in unterschiedlichen Zusammenhängen. Wo es um „gigantische Barriquekeller und astronomische Hektoliterproduktionen bei den Giganten der der kalifornischen Weinindustrie“ (Seite 33) geht, ist der Begriff „Industrie“ angebracht: Die hier beschriebenen Größen- und Mengenverhältnisse beziehen sich explizit auf industrielle Dimensionen, zumal Wein tatsächlich ein materielles Produkt ist. Anders wiederum später im Text, wo es heißt: „Die amerikanische Weinindustrie schläft nicht […]“ (Seite 33). Hier wäre wegen des übergeordneten Zusammenhangs wieder „Weinwirtschaft“ oder „Weinbranche“ besser.

Sorgfalt und Verantwortung

Von Journalisten und allen anderen, die hauptberuflich Texte verfassen, erwarte ich, dass sie ihr Handwerkszeug beherrschen, also, dass sie grammatisch und semantisch korrekt formulieren können. Dazu gehört auch das richtige Übersetzen und damit das Prägen sinnvoller Ausdrücke in der deutschen Alltags- und Fachsprache. Dass – besonders unter Zeitdruck – Fehler vorkommen, versteht sich und ist nur menschlich. Die hier aufgezeigte Problematik ist jedoch eine grundsätzliche.

Wohlgemerkt: Gegen Sprachwandel habe ich nichts; er ist natürlich und wichtig. Er darf aber nicht aus Nachlässigkeit geschehen und sinnentleerte oder widersinnige Formulierungen im Zusammenwirken mit allgemeiner gesellschaftlicher Ignoranz und Bequemlichkeit salonfähig machen. Dafür trägt die schreibende Zunft maßgeblich die Verantwortung.