Auf Château l’Hospitalet in der Nähe von Narbonne – an der französischen Mittelmeerküste, knapp 100 Kilometer nördlich der Grenze zu Spanien – war ich bereits vor neun Jahren im Rahmen einer Weiterbildung zu Gast. Mitte September dieses Jahres durfte ich auf Einladung von Inhaber Gérard Bertrand erneut gut zwei Tage auf dem gastfreundlichen, luxuriösen Anwesen verbringen: ein ebenso genuss- wie lehrreicher Aufenthalt mit außergewöhnlichen Erlebnissen und interessanten Begegnungen.
Auf dieser Pressereise war ich Teil einer Gruppe von deutschen und amerikanischen Weinprofis. Mit dabei waren unter anderem Meike Frers von der Hamburger Agentur ff.k Public Relations, die Gérard Bertrand in Deutschland vertritt, der weltreisende Weinblogger und -influencer Daniel Bayer, die texanische Reise- und Lifestyle-Journalistin Becca Hensley sowie der Wein- und Musikveranstalter Jermaine Stone aus New York. Zusammen mit zahlreichen weiteren Gästen waren wir geladen zur „Fête des Vendanges“ – zur Feier der Weinlese.
Château l’Hospitalet ist so etwas wie die Unternehmenszentrale von Gérard Bertrand – und dazu ein Gourmet- und Wellness-Hotel, an dessen Pforte fünf Sterne anzeigen, dass der Gast sich hier in einem Luxus-Resort befindet. Dieses besteht aus mehreren Gebäuden, in denen unter anderem 13 Hotelzimmer und 28 Suiten untergebracht sind; allein die „Villa Soleilla“ verfügt über elf Suiten, einen Wellnessbereich und einen von zwei Außenpools auf dem Gelände. Das gastronomische Angebot umfasst das Restaurant „Chez Paule“ (benannt nach Gérard Bertrands Großmutter), das Gourmet-Restaurant „L’Art de Vivre“ sowie die „Jazz Bar“. Für das Wohl der Gäste sorgen hier Küchenchef Laurent Chabert und Chef-Sommelier Pierre-Alexis Menugal mit ihren engagierten Teams. Ebenfalls zum Resort gehören das Strand-Restaurant „L’Hospitalet Beach“ sowie – ja, tatsächlich – das Weingut, so dass der Slogan „Wine Resort • Beach • Spa“ vollumfänglich seine Berechtigung hat. Bekannt ist Château l’Hospitalet auch für seine Kunstausstellungen und das internationale Jazz-Festival, dass hier jedes Jahr im Sommer stattfindet. „Jazz ist für die Musik, was das Terroir für den Wein ist“, erklärt Gérard Bertrand dazu: „Beide sprechen die Seele an.“ Über diese Begriffe und ihre Zusammenhänge wird im Folgenden noch ausgiebig zu lesen sein.
Das Universum des Gérard Bertrand
Gérard Bertrand, geboren 1965, entdeckte seine Leidenschaft für den Wein während seiner ersten Lese zusammen mit der Familie im Jahr 1975, wie er berichtet. In den darauffolgenden zwölf Jahren lernte er an der Seite seines Vaters Georges viel über achtsamen Weinbau und Weinbereitung, wurde jedoch zunächst ein erfolgreicher internationaler Rugby-Spieler. Seinen Ehrgeiz und seinen Wettkampfgeist als „Sportler- und Spielernatur“ wandte er dann auf den Weinbau an, nachdem er sich 1987 nach dem plötzlichen Unfalltod seines Vaters entschlossen hatte, das Familienweingut Château de Villemajou im Languedoc weiterzuführen. Der Name Villemajou geht auf das Lateinische „villa major“ (großes Haus) zurück: ein römisches Anwesen, das schon im 5. Jahrhundert für die Qualität seiner Weine gerühmt wurde, später mit der nahegelegenen ehemaligen Zisterzienserabtei Sainte-Marie de Fontfroide verbunden war und das Georges Bertrand 1973 erwarb.
Gérard Bertrands Streben richtete (und richtet) sich darauf, die besten Terroirs seiner Region in seinem Besitz zu vereinigen, sie weiterzuentwickeln und in der ganzen Welt bekannt zu machen. 1992 gründete er das Weinunternehmen, das seinen Namen trägt und sich inzwischen durch ein Sortiment von Spitzenweinen auszeichnet, die typisch für ihre südfranzösische Herkunft sind. Als Winzer und Geschäftsmann hat er die Vision, seine Heimat zur weltweit führenden Weinregion in Sachen Nachhaltigkeit zu machen. Eine seiner Strategien, um diese Vision zu verwirklichen, besteht darin, den größten Teil seiner Gewinne in das Unternehmen und die Region zu reinvestieren.
Seit September dieses Jahres besitzt Gérard Bertrand sage und schreibe 17 Weingüter in Okzitanien, die insgesamt über 880 Hektar Rebfläche bewirtschaften. 16 dieser Weingüter liegen im Languedoc-Roussillon: Château de la Soujeole (AOP Malepère), Château Laville Bertrou (AOP Minervois-La-Livinière), Château La Sauvageonne (AOP Terrasses du Larzac und AOP Languedoc), Château l’Hospitalet (AOP La Clape), Cigalus (IGP Aude Hauterive), Clos d’Ora (AOP Minervois-La-Livinière), Domaine de l’Aigle (AOP Limoux und IGP Haute Vallée de l’Aude), Château de Villemajou (AOP Corbières-Boutenac), Domaine de l’Estagnère (IGP Cité de Carcassonne), Château des Karantes (AOP La Clape), Château de Tarailhan (AOP La Clape), Château Aigues Vives (AOP Corbières und AOP Corbières-Boutenac), Cap Insula (AOP La Clape), Château des Deux Rocs (AOP Languedoc-Cabrières), Clos du Temple (AOP Languedoc-Cabrières) sowie Château de Celeyran (AOP La Clape). Vor wenigen Wochen erweiterte die Domaine de Cause (AOP Cahors) das Portfolio der Unternehmensgruppe Gérard Bertrand über das Languedoc-Roussillon hinaus.
Dabei gilt Bertrand als Pionier der Biodynamie im großen Maßstab, denn alle seine Weingüter im Languedoc-Roussillon sind Demeter-zertifiziert; die Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung begann 2002 auf Cigalus. Im selben Jahr wurde Château l’Hospitalet als Hauptsitz des Unternehmens und als „Aushängeschild südfranzösischer Lebensart“ gegründet. Das Unternehmenslogo von Gérard Bertrand zeigt das westgotische Kreuz, das das historische Erbe Südfrankreichs symbolisiert. In jedem der vier Arme des Kreuzes stehen zwölf Punkte für die zwölf Monate und den Planetenzyklus, der für die Biodynamie wesentlich ist. Über dem Kreuz trinken zwei Tauben – Symbole für Frieden und Unsterblichkeit – aus einem Kelch: ein Sinnbild für Teilhabe und Harmonie als Werte der Unternehmensgruppe. Unter den waagerechten Armen des Kreuzes stehen ein Alpha und ein Omega; sie repräsentieren Anfang und Ende, den Zyklus des Lebens und der Natur. „Indem wir eine Alchemie zwischen Innovation, herausragender Qualität und der Natur schaffen, formen wir die Zukunft der weltgrößten Weinbauregion“, sagt Gérard Bertrand.
Biodynamie – die Lehre vom Leben
Die Gruppe Gérard Bertrand ist das weltweit größte Weinunternehmen, das konsequent biodynamisch arbeitet. Das Klima im Languedoc-Roussillon begünstigt dabei die biologische und biodynamische Landwirtschaft: Es ist heiß und windig – mit rund 3.000 Sonnenstunden pro Jahr und 13 verschiedenen Winden (deren bekannteste wahrscheinlich der Mistral und die Tramontane sind). So können die Trauben sehr gut reifen und nach Niederschlägen schnell trocknen, was Pilzkrankheiten verhindert. In der Region besitzt Gérard Bertrand, wie gesagt, 16 Weingüter; diese arbeiten mit 26 Rebsorten und erzeugen Weine mit zwölf geschützten Herkunftsbezeichnungen. 16 Weingüter bedeuten 16 spezifische Terroirs, so dass es in jedem Weingut unterschiedliche Anforderungen und Details bei der Bearbeitung der Weinberge zu berücksichtigen gilt.
Terroir kann verstanden werden als die Gesamtheit natürlicher Faktoren und kultureller Einflüsse, die einem Wein seinen Charakter verleihen. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia beschreibt mit dem Begriff Terroir das Zusammenspiel zwischen der kulturbildenden Tätigkeit des Menschen und den naturgegebenen Bedingungen, die ein bestimmtes Stück Land prägen, wie (Mikro-)Klima, Geologie (Bodenstruktur) und Topografie (Gelände). Das Lexikon von wein.plus definiert Terroir als den „Einfluss von Herkunft, Klima und Bodentyp im Zusammenspiel mit den Rebsorten und der lokalen Weinkultur auf die spezielle und unverwechselbare Typizität bzw. Charakteristik des Weines“, dessen Trauben in einem bestimmten Areal wachsen und der dort erzeugt wird. Das schließt ausdrücklich „die Kunst des Winzers“ ein, „indem dieser bei der Weinbereitung auf die speziellen Gegebenheiten seines Weingartens Rücksicht nimmt und seine ganz persönliche Handschrift durch seine Erfahrungen, Vorlieben und Überzeugungen einbringt“. Damit lässt sich Terroir als ein eigenes Ökosystem begreifen, und diesem Ansatz folgt auch Gérard Bertrand.
Der französische Bodenkundler und Agronom Olivier de Serres (1539–1619) wies dem Terriorbegriff drei Elemente zu: Luft (Klima), Erde (regenerativer Boden) und Vegetation (die Organe von Pflanzen, um Umwelteinflüsse aufzunehmen). Die Biodynamie harmonisiert dieses Ökosystem. Sie hilft der Pflanze, sich an die Umwelt anzupassen, anstatt sie zu kontrollieren. „Die Wirkung der Biodynamie besteht darin, dem Weinberg wieder Leben zuzuführen und dieses zu intensivieren und zu organisieren“, erläutert Gilles de Baudus, der bei Gérard Bertrand für das Thema Biodynamie verantwortlich ist.
Der Anthroposoph Rudolf Steiner (1861–1925) formulierte „universelle Gesetze, denen das Leben folgt“; ihm zufolge ist alles Leben auf dem Planeten miteinander verbunden. Steiner definierte zwei zentrale Energiequellen für das Leben: einerseits die Erde, also den Boden betreffend (Fachbegriff: tellurisch), und andererseits die Gestirne, d. h. Sonne, Mond und Planeten, also den Himmel betreffend (Fachbegriff: kosmisch). Steiners Lehre zielt darauf ab, den Einfluss der Erde zu erhöhen, indem dort kosmische Energie gespeichert wird. Um dies zu erreichen, spielen die Jahreszeiten und die Mondphasen eine wichtige Rolle. Sogenannte biodynamische Präparate verstärken und harmonisieren die beiden Energien.
Von dem englischen Philosophen und Staatsmann Francis Bacon stammt die Aussage: „Wir beherrschen die Natur nur, indem wir ihr gehorchen.“ Die Entwicklung der Reben ist von der Sonne abhängig, genauer gesagt, dem Sonnenverlauf über das Jahr (gekennzeichnet beispielsweise durch Sonnen- und Wintersonnenwende). Die Biodynamie nutzt die Wirkung des Sonnen- und Mondverlaufs auf Pflanzen und Boden, denn der Sonnenverlauf lässt die Pflanzensäfte steigen und sinken. Biodynamische Präparate richten nun die Pflanzenentwicklung auf die Sonnen- und Mondzyklen aus. Gilles de Baudus spricht von „Homöopathie für Pflanzen“ und meint damit, dass bereits geringe Mengen der Präparate eine große Wirkung auf die Pflanzen entfalten.
Beispiele für biodynamische Präparate, die die tellurische und die kosmische Energie beeinflussen, sind das Maria-Thun-Fladenpräparat (das im Herbst ausgebracht wird und nach einer deutschen Agronomin und Anthroposophin benannt ist), das Hornmist-Präparat (das im Frühjahr ausgebracht wird), das Hornkiesel-Präparat (das im Sommer ausgebracht wird) und das Abscisinsäurekiesel-Präparat (das wiederum im Herbst ausgebracht wird). Darüber hinaus gibt es diverse Pflanzenaufgüsse als Präparate, etwa von Eichenrinde, Ackerschachtelhalm, Schafgarbe, Brennnessel, Löwenzahn, Kamille, Luzerne, Weide oder Baldrian. Alle diese Präparate haben eine spezifische Wirkung auf die Reben, wirken beispielsweise stärkend, anregend oder beruhigend. Dafür müssen sie „angereichert“ oder „dynamisiert“ werden, d. h. so zubereitet werden, dass sie möglichst viel Energie erhalten. Zu diesem Zweck werden sie in ihrer flüssigen Form gerührt, wobei gemäß der biodynamischen Lehre das Rühren im Uhrzeigersinn die Erdenergie anzieht und das Rühren gegen den Uhrzeigersinn die Sonnenenergie anzieht.
Bei Gérard Bertrand stehen für die Bearbeitung der Weinberge 15 verschiedene biodynamische Düngemittel zur Wahl. Jedes Jahr werden in fünf Kompostanlagen 2.000 Tonnen Dung von Schafen, Pferden und Rindern selbst erzeugt. 460 Hektar Rebfläche sind begrünt, wobei die Begrünung an den jeweiligen Boden angepasst ist und, so Gilles de Baudus, wie eine „pflanzliche Haut“ wirkt, die den Boden schützt. Auf den Flächen von acht Weingütern weiden insgesamt 960 Schafe, und drei Weingüter bewirtschaften ihre Rebgärten mit Maultieren statt Traktoren; dafür gibt es eigens drei Tierpfleger. Für Biodiversität in den Weinbergen sorgen Mohn, Olivenbäume und Bienenstöcke.
Die Präparate für alle Weingüter von Gérard Bertrand werden zentral in einem eigens dafür hergerichteten ehemaligen Weinkeller zubereitet. Bei ihrer Anwendung ist Präzision gefragt: Die Arbeit in den Weinbergen richtet sich nach den Mondphasen; danach entscheidet sich, 1. was 2. wann 3. wozu getan wird. Die Definition von Blütetagen, Fruchttagen, Blatttagen und Wurzeltagen legt die Maßnahmen und ihre Zeitpunkte fest. Nach jeder Ernte gehen Gilles de Baudus und sein Team zwei Wochen in Klausur und analysieren anhand des Bodens, der Trauben und des jungen Weins, wie jede einzelne Weinbergsparzelle auf die Maßnahmen in der vergangenen Vegetationsperiode reagiert hat, um anschließend die Behandlung für das kommende Jahr festzulegen.
„Ein Weinberg ist wie ein Kind, das erzogen werden kann“, meint Gilles de Baudus. Diese Denk- und Sichtweise, die das ganze Unternehmen durchdringt, muss er an 16 Gutsleiter und 980 Mitarbeitende weitergeben. „Biodynamie ist eine menschliche Erfahrung und Wahrnehmung“, sagt er. Es gehe um den Kreislauf des Lebens. Nach Ansicht von de Baudus beeinflussen auch die innere Einstellung und Hingabe des Menschen beim Umgang mit dem Weinberg und den Präparaten deren Energie.
Das Fazit zum Thema Biodynamie lässt sich relativ einfach und gänzlich unesoterisch fassen: Pflanzen können sich ihrer Umgebung anpassen, und die Biodynamie unterstützt sie dabei. Praktisch bringt das laut Gilles de Baudus unter anderem einen ganz erheblichen Vorteil, auch mit Blick auf den Klimawandel: Biodynamie verdreißigfache die Aktivität (also die Lebendigkeit) des Bodens; damit könne biodynamisch bewirtschafteter Boden auch 30 mal mehr Kohlendioxid binden als konventionell bearbeiteter Boden.
Erster Akt: Offenbarungsmenü
Unser Willkommensabend im September, bei dem sich unsere Reisegruppe erstmals zusammenfand und die gastronomischen Leistungen von Château l’Hospitalet kennenlernte, fand im Restaurant „L’Art de Vivre“ statt. Ein „Menü Révélation“ offenbarte – seinem Namen entsprechend – eine zweistellige Anzahl kleiner, äußerst raffinierter Gänge, unter anderem:
- im eigenen Saft pochierte und gegrillte Auster aus dem Étang de Thau mit Green-Zebra-Tomaten, Stachelbeeren und Rhabarber
- geräucherte, gegrillte und mit mit Karotten-Mandarinen-Honigsaft lackierte Aubergine mit Orangen- und Grapefruit-Emulsion
- langsam gegarte Zahnbrasse mit Schinken vom Tirabuixo-Schwein, Pfifferlingen und Schweinefuß
- gebratenes Taubenfilet mit einem Kompott aus Tomaten, roten Paprika und Sonnenblumenknospen sowie hausgemachter Harissa (scharfer Gewürzpaste), Taubenkeulen-Tartelette und Kräutersalat
- Himbeeren und Paprika mit Piment d’Espelette, Himbeer-Paprika-Sorbet, Eisenkraut-Sahne und Mandelkuchen
Dazu präsentierte Pierre-Alexis Menugal eine wahrhaft faszinierende Weinauswahl, unter anderem:
- Gérard Bertrand Legend Vintage AOC Rivesaltes 1979
zunächst oxidative Töne, danach Aromen von getrockneten und eingemachten Feigen und Aprikosen sowie schwarzen Nüssen und Orangenzesten, feine Süße, Schmelz, frisch, lebendig, elegant, exzellent gereift und stabil - Gérard Bertrand La Forge AOP Corbières-Boutenac 2014
alte Carignan-Rebstöcke; dicht und tief, Aromen von Brombeeren, Garrigue und Pfeffer, animalische Anklänge („sauberer Stall“ war unsere Assoziation), kühl, mineralische Noten, animierende Säure, feines Tannin - Clos d’Ora AOP Minervois-La-Livinière 2019
dicht, tief und konzentriert, Aromen von Teer, Rauch, Tabak, Blaubeeren, Brombeeren und Bitterschokolade, ätherische Noten, eine so extreme Substanz, dass man versucht ist zu kauen, feines Tannin, kühl, komplex, fest und lang
Dieser Abend war ein wirklich beeindruckender kulinarischer Auftakt unseres Aufenthalts.
Zweiter Akt: Château La Sauvageonne
Am nächsten Tag besuchten wir vormittags das Weingut Château La Sauvageonne. Die Domaine ist etwa ein halbes Jahrhundert alt und wurde auf einem Areal errichtet, auf dem früher ein Eichenwald stand. Seit 14 Jahren gehört sie Gérard Bertrand, die Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung begann 2012.
Auf 75 Hektar Rebfläche werden zu 90 Prozent rote Rebsorten (Grenache Noir, Carignan, Mourvèdre, Syrah) und zu 10 Prozent weiße Rebsorten (Grenache Blanc, Rolle, Roussanne) angebaut. Die Terroirs sind dabei sehr unterschiedlich, die Böden bestehen aus Schiefer, Kalkstein und einem Vulkangestein namens Ruffe. Der Terroir-Diversität folgend, ergeben 75 Weinbergsparzellen 75 einzelne Weine, die anschließend verschnitten werden. Um die ideale Cuvée-Zusammensetzung zu finden, brauchte das Team von Château La Sauvageonne drei Jahre. Die Rotweine tragen die geschützte Herkunftsbezeichnung AOP Terrasses du Larzac.
Hier sagte Guillaume Barraud, der als stellvertretender Geschäftsführer bei Gérard Bertrand alle Weingüter koordiniert, den schönen Satz: „La période de vendanges est une période festive“ – übersetzt: „Die Lesezeit ist eine Zeit zum Feiern.“ Dies war der Schlüssel für den Anlass unseres Besuchs auf Château l’Hospitalet!
Zu probieren gab es gewissermaßen die Evolution des Weins: stabilisierten Most von Grenache Noir, gerade gärenden Grenache Blanc und bereits fertig vergoreneren Rolle.
Die Rebstöcke rund um die Domaine sind etwa 50 Jahre alt und werden im Gobelet-System erzogen. Sie sehen dadurch aus wie kleine Bäume, bei denen ein Blätterdach die Trauben vor zu starker direkter Sonneneinstrahlung schützt. Dieses System der Reberziehung ist nur mit vier Rebsorten möglich: Carignan, Cinsault, Grenache Noir und Mourvèdre; nur deren Tiere lassen sich so aufrecht erziehen, wie es für den Sonnenschutz erforderlich ist.
Zum Mittagessen auf der Terrasse des Gästehauses des Weinguts mit Blick über die Landschaft bekamen wir zwei Gewächse von Château La Sauvageonne serviert:
- Château La Sauvageonne Blanc AOP Languedoc 2021
Cuvée aus Grenache Blanc, Roussanne, Rolle und Viognier
Eleganz und Frische trotz 15 Volumenprozent Alkohol (wohlgemerkt bei einem Mittagessen in der Sommersonne bei über 30 Grad), Aromen von reifen weißen und gelben Früchten, Mineralität, typische Würze, feiner Schmelz, feine Säure - Château La Sauvageonne Noir AOP Terrasses du Larzac 2019
Cuvée aus Grenache Noir, Syrah, Mourvèdre und Carignan
Ausgewogenheit trotz 15,5 Volumenprozent Alkohol, Aromen von reifen roten und schwarzen Beeren sowie Gewürzen und Tabak, kühle ätherische Noten, feines Tannin, animierende Säure, balanciert, wohl dosierte Kraft
Dritter Akt: Clos du Temple
Am Nachmittag erlebten wir das Weingut Clos du Temple – ein Gesamtkunstwerk rund um einen einzigen Wein. Typisch für die geschützte Herkunftsbezeichnung AOP Languedoc-Cabrières sind Roséweine, und auch der Clos di Temple ist nominell ein Rosé, doch seine Farbe erinnert eher an die von Messing – wie bei einem Blanc de Noirs. Fünf Rebsorten werden für den Clos du Temple verwendet: Cinsault, Grenache Noir, Syrah, Mourvèdre und Viognier – also vier rote und eine weiße. Sie werden auf zwölf Hektar Rebfläche, aufgeteilt in elf am Hang gelegene Parzellen rund um das Weingut, kultiviert.
Die biodynamische Bewirtschaftung der Weinberge sorgt für einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt, so dass diese auch in trockenen, heißen Sommern (wie dem diesjährigen) grün sind. Die Trauben werden bei Tagesanbruch von Hand gelesen, um die Frische infolge der nächtlichen Temperatursenkung zu bewahren. Dabei wird jede einzelne Parzelle zum jeweils optimalen Zeitpunkt geerntet und separat vinifiziert.
Clos du Temple zu besichtigen, folgt einer einzigartigen Inszenierung: Das vom Architekten François Fontès aus Montpellier gestaltete Weingut besteht aus zwei Etagen. Man betritt es gewissermaßen durch die Hintertür auf der oberen Etage und steht, nachdem sich die Tür geschlossen hat, in einem dunklen Raum vor einem Vorhang. Nach einigen einführenden Worten des Gutsdirektors öffnet sich dieser zu filmwürdiger (oder gar -entlehnter) Musik, und man steigt eine Treppe hinunter in einen Keller mit pyramidenförmige Edelstahltanks, die goldene Spitzen haben – und kommt sich wahrhaft vor wie in einem ägyptischen Tempel. Hier werden die Trauben kalt gepresst, und auch die Gärung erfolgt, nachdem sich der Most 24 Stunden setzen durfte, bei kontrollierter, niedriger Temperatur.
Hinter dem Tankkeller liegt ein etwa ebenso großer Barrique-Keller, in dem Fässer unter anderem von François Frères aus dem Burgund und Franz Stockiger aus Niederösterreich ruhen. Hier werden die Weine ausgebaut und liegen dabei sechs bis acht Monate auf der Feinhefe. In die Decke dieses Fasskellers ist ein Glasfenster eingelassen, das den Blick in den lichtdurchfluteten oberen Raum freigibt.
Nach der Besichtigung dieser unteren, der Arbeitsetage, steigt man wieder die Treppe empor, bis man erneut in dem dunklen Raum steht. Diesmal öffnet sich an einer anderen Seite desselben ein Vorhang, und man betritt unter den Klängen von „O fortuna“ aus Carl Orffs Kantate „Carmina Burana“ den oberen Raum: einen fast vollständig verglasten Saal mit 180-Grad-Panoramablick über die Weinberge von Clos du Temple, dessen Akustik sogar für Konzerte ausgelegt ist – ein Flügel steht bereit – und von dem man sowohl in den Fasskeller als auch in den Tankkeller blicken kann.
Und hier wurde uns dann der Jahrgang 2021 des Clos du Temple AOP Languedoc-Cabrières ausgeschenkt – und zwar denkbar großzügig! Wein, Raum und Landschaft verschmolzen zu einem sensorischen Gesamterlebnis.
Zur Inszenierung gehört auch die spezielle Flaschenform des Clos du Temple. Die Internetseite des Weinguts beschriebt sie (wenngleich ein wenig schwülstig) wie folgt: „Eine geometrische Darstellung des Tempels, dessen elegante Proportionen vom goldenen Schnitt, dem Phi, inspiriert sind: Der quadratische Sockel, Symbol der Erde, greift die kubischen Fundamente auf, die zylindrische Erhebung soll die Verbindung zwischen irdischen und himmlischen Kräften beschwören. Die Kuppel, ein perfekter Kreis auf den Schultern der Flasche, ist mit einem feinen Golddekor geschmückt, um die sanften Kurven der Hügel zu unterstreichen“, die die Weinberge und das Weingut umgeben. Charakteristisch für die Marke Clos du Temple ist die Farbe Königsblau als „Hommage an König Ludwig XIV., einen großen Liebhaber der Cabrières-Weine“, so die Website.
Der Clos du Temple AOP Languedoc-Cabrières 2021 nun präsentierte sich noch etwas ungerichtet mit fruchtigen, pflanzlichen, floralen, würzigen und mineralischen Komponenten, fest, tief, kraftvoll und vibrierend – und vielleicht kommt es genau auf diese spürbare innere Dynamik des Weins an. Für seine 14,5 Volumenprozent Alkohol hat er jedenfalls mehr als genug Substanz.
Vierter Akt: Masterclass und Gala-Dîner
Der Tag der Lese-Feier: der 17. September. Vormittags Biodynamie-Seminar, nachmittags praktischer Ernte-Workshop, dazwischen Mittagessen am Strand im „L’Hospitalet Beach“, zusammen mit Gérard Bertrand und sämtlichen Gästen, die zur „Fête des Vendanges“ aus dem In- und Ausland angereist waren. Aufgetragen wurde ein dreigängiges Menü:
- Rinder-Tataki nach „Weinender-Tiger“-Art mit Mizuna-Salat
- Steinköhler, bei Niedrigtemperatur gegart, mit Muscheln und Zucchini-Tapenade
- Feigen-Tarte
Dazu gab es sechs Weine, von denen sich die Gäste nach Belieben selbst bedienen konnten: Papilou 2021, Gris Blanc 2021, Source of Joy 2021, Château l’Hospitalet Grand Vin Blanc 2020, Domaine de l’Aigle Pinot Noir 2020 und Gérard Bertrand Banyuls Traditionnel 2016.
Besondere Erwähnung verdient davon abgesehen der Orange Gold Vin de France 2020. Diese maischevergorene Cuvée aus Chardonnay, Grenache Blanc, Viognier, Marsanne, Mauzac und Muscat ist für einen Orange-Wein bemerkenswert frisch, fruchtig, harmonisch und zugänglich – Trinkfluss statt Tannin. Gérard Bertrand bezeichnet diese Kreation als seine „persönliche Liebeserklärung an die Kraft der Sonne und die herrlichen Sonnenuntergänge Südfrankreichs“. Man ist geneigt, dem zuzustimmen….
Der festliche Abend schließlich begann mit einer von Gérard Bertrand persönlich kommentierten Degustation unter freiem Himmel – die dadurch, wie er sagte, wiederum die Verbindung zum Kosmos herstellte.
Verkostet wurden nicht weniger als zehn Weine:
- Château de Villemajou Grand Vin Blanc AOP Corbières 2021
Cuvée aus Roussanne, Marsanne, Grenache Blanc und Grenache Gris
Aromen von gelben Früchten (vor allem Quitten), kräuterige Würze, ein Hauch Honig, relativ präsente Säure, zarter Schmelz, ausgewogen - Cigalus Blanc IGP Aude Hauterive 2021
Cuvée aus Chardonnay, Sauvignon Blanc und Viognier
Aromen von Ananas sowie etwas Äpfeln und Birnen, florale und zart pflanzlich-würzige Töne, blüht am Gaumen auf, mineralische Noten, feine, animierende Säure, röstige Nuancen, rund, sehr guter Abgang mit Griff – mein weißer Top-Favorit dieser Probe - Domaine de l’Aigle Royal Chardonnay AOP Limoux 2021
reinsortiger Chardonnay; der Weinberg liegt auf 505 Metern Höhe
rauchig-röstige Töne, gelbfruchtige und pflanzliche Aromen, Kraft, mineralische Noten, feine Säure, Schmelz, Griff, Potenzial - Domaine de l’Aigle Royal Pinot Noir IGP Haute Vallée de l’Aude 2019
reinsortiger Pinot Noir
Aromen von Kirschen sowie roten und schwarzen Beeren, zart röstige und rauchige Töne, Noten von teilweise getrockneten Kräutern, Anklänge an Pilze, kühl, animierende Säure, sehr ausgewogen, Eleganz, Finesse - Château de Villemajou Grand Vin Rouge AOP Corbières-Boutenac 2019
Cuvée aus Carignan (100-jährige Rebstöcke), Syrah, Grenache Noir und Mourvèdre
dicht, Aromen von dunklen Beeren, Kräutern und Kakao, etwas ätherische sowie erdig-würzige Töne, kraftvoll, tief, fest, kühl-mineralische Noten, feine Säure, samtiges Tannin, Zug - Château de la Soujeole Grand Vin Rouge AOP Malepère 2019
Cuvée aus Merlot, Cabernet Franc und Malbec
Aromen von dunklen Früchten, Gewürzen und Kräutern, Anklänge an Pfeffer, kühl, relativ dicht, Noten von reifen Beeren (Blaubeeren, Preiselbeeren), eine Spur Bitterschokolade, feine Säure, zarte Mineralität, feinsandiges Tannin, saftig, durchaus elegant – einer meiner Favoriten dieser Probe - Château La Sauvageonne Grand Vin Rouge AOP Terrasses du Larzac 2019
Cuvée aus Grenache Noir (über 50 %), Syrah, Mourvèdre und Carignan; gewachsen auf Schiefer und Vulkangestein
dicht, Aromen von Kräutern, dunklen Früchten, etwas dunkle Schokolade und Gewürzen, feinkörniges Tannin, harmonische Säure, mineralische Noten, gewisse Tiefe, kraftvoll, fest - Gérard Bertrand Cuvée 101 AOP Corbières 2020
reinsortiger Carignan; Rebstöcke 1920 gepflanzt
Aromen von dunklen Früchten, Gewürzen (Zimt) und dunkler Schokolade, sehr dicht und tief, mineralische Noten, animierende Säure, fest, feines Tannin, sehr fein, lang – einer meiner Favoriten dieser Probe - Gérard Bertrand Plantabelle AOP Languedoc-Cabrières 2019
Cuvée aus Grenache Noir (90 %) und Syrah (10 %)
dicht, Aromen von dunklen Beeren (schwarzen Johannisbeeren, Brombeeren) und Kräutern, kühl, erdig-würzige Töne, sehr saftig, animierende Säure, feinkörniges Tannin, sehr fein, vibrierend – mein roter Top-Favorit dieser Probe - Gérard Bertrand Villa Soleilla Vin de France 2021
Cuvée aus Roussanne, Rolle und Viognier; maischevergoren
Aromen von konfierten Orangen und Zitronen sowie feinen Kräutern, Mandelkernen und teilweise getrockneter Ananas, feines Tannin, mineralische Noten, feine, animierende Säure, Tiefe, Schmelz, sehr komplex – einer meiner Top-Favoriten dieser Probe
Das Gala-Dîner bestand aus vier deliziösen Gängen, zu denen insgesamt sechs Weine ausgeschenkt wurden:
- Heimischer Hummer in würzigem Fischsud mit Tomaten-Pfirsich-Basilikum-Kompott, grünen Bohnen sowie Krustentierrogen-Vinaigrette mit Gruissan-Safran
Dazu gab es die Jahrgänge 2020 und 2021 des Clos du Temple AOP Languedoc-Cabrières im Vergleich, wobei der 2020er, der sich aufgrund seines Alters bereits gesetzter und harmonischer präsentierte, besser passte als der – wie bereits beim Besuch des Weinguts angemerkt – noch etwas unruhige 2021er. - Stockente aus der Jagd von Sabournac, das Filet am Knochen gegart und lackiert, die Keule geschmort, mit weißen Rüben, fermentierten Heidelbeeren aus den Pyrenäen und reduzierter Jus
Der dazu servierte Clos d’Ora AOP Minervois-La-Livinière 2017 überzeugte bereits mit seiner dunklen Frucht, seiner Dichte und Tiefe, doch der Gérard Bertrand La Forge AOP Corbières-Boutenac 2007 verschmolz mit seinen würzigen Reifenoten, seinen ebenfalls dunklen Aromen und seiner samtigen Textur förmlich mit diesem ausgefeilten, delikaten Gericht: Beide wuchsen im kulinarischen Zusammenspiel über sich hinaus (französisch: se sublimer), formulierten wir am Tisch. - Käseauswahl von Affineur Betty in Toulouse
Der Gérard Bertrand Villa Soleilla Vin de France 2021 dazu erfüllte genau das Postulat, das allgemein während der Freiluft-Degustation abgegeben worden war: Dieser Wein empfiehlt sich als ausgesprochener Käse-Begleiter! - Karamell-Leckerei mit Canigou-Tanne, Kumquat-Orangen-Marmelade von der Domaine Vessieres und Wacholderbeeren
Der dazu gereichte Gérard Bertrand Legend Vintage AOC Rivesaltes 1979 schloss perfekt den Kreis zu unserem Offenbarungsmenü am Willkommensabend (siehe Beschreibung dort).
Nach dem Menü ging es mit Musik und Tanz und dem Gérard Bertrand Ballerine Étoile Rosé AOP Crémant de Limoux brut in die Nacht…
Für die professionelle Organisation und die sehr zuvorkommende Betreuung an diesen Tagen in Südfrankreich danke ich auf das Herzlichste dem Team von Gérard Bertrand, wobei hier vor allem Johana Gaillardon-Baldella, Laura Coulon und Véronique Braun sowie Marianne Fabre-Lanvin von der PR-Agentur MFL & Co zu nennen sind.
Epilog
Einige Tage später entdeckte ich in einem Supermarkt in Marseille Weine von Gérard Bertrand. Sie waren einsortiert unter der Produktgruppe „Grands Vins“ – große Weine. Grundsätzlich und selbstverständlich.
Soviel zum Image und zur Qualität…
Foto Gérard Bertrand (Nr. 3): Ulrich Lebeuf