2025 kenne ich Erwin Tinhof und seine Weine seit 20 Jahren. Erstmals begegnet sind wir uns auf einer Veranstaltung bei Bernd Klingenbrunn von K&M Gutsweine in Frankfurt, der die Tinhof-Gewächse seit Bestehen seiner Weinhandlung im Sortiment hat. Das für mich beeindruckendste Erlebnis mit Erwins Weinen war im April 2015 eine Vertikalverkostung im Restaurant „Steirereck“ in Wien, über die ich hier im Blog ausführlich berichtet habe.
Meine 20-jährige Freundschaft mit Erwin war Grund genug, im kleinen Kreis einige gereifte Tinhof-Weine zu öffnen, um ihre Lagerfähigkeit unter Beweis zu stellen. Der Gastgeber bereitete dazu ein fünfgängiges Menü zu, und wir probierten die Weine zuerst solo und anschließend zum Essen.
Einige Hintergrundinformationen
Erwin Tinhof ist Winzer in elfter Familiengeneration. Sein Weingut ist in Eisenstadt, gut 40 Kilometer südöstlich von Wien; die Kellerei befindet sich im benachbarten Trausdorf. Erwin bewirtschaftet 18 Hektar Weinberge, die hauptsächlich mit den Rebsorten Neuburger, Weißburgunder, Blaufränkisch und Sankt Laurent bepflanzt sind. Seit 2012 ist das Weingut biozertifiziert.
Das Weinbaugebiet Leithaberg liegt im Burgenland, am Westufer der Neusiedler Sees. Das Leithagebirge ist ein Ausläufer der Alpen und verdankt seinen Namen dem Fluss Leitha. Die Böden hier bestehen vorwiegend aus Muschelkalk, dazu auch Schiefer und Gneis. Sie sind hervorgegangen aus einem Meer, das sich vor über zehn Millionen Jahren in dieser Gegend befand. Am Leithaberg herrscht pannonisches Klima mit kontinentalen Einflüssen: Tagsüber wehen vom See her warme Winde, die Nächte sind durch das nahe Gebirge kühl. Das Weinbaugebiet umfasst knapp 3.000 Hektar Rebfläche, auf denen über 40 Rebsorten angebaut werden. Drei davon wollen wir in diesem Beitrag betrachten: Blaufränkisch macht 20 Prozent der Fläche aus, Weißburgunder 5,2 Prozent und Neuburger 1,4 Prozent. Blaufränkisch stammt aus Österreich und ist eine Kreuzung aus Blauer Zimmettraube und Weißem Heunisch. Weißburgunder ist eine Mutation des Grauburgunders und stammt aus dem Burgund. Neuburger stammt aus der Wachau und ist eine natürliche Kreuzung aus Rotem Veltliner und Sylvaner. Die geschützte Herkunftsbezeichnung Leithaberg DAC besteht für Rotweine seit 2008 und für Weißweine seit 2009.
Meine Verkostungsnotizen
2017 Weißburgunder Leithaberg DAC
Der trockene weiße Gebietswein duftet nach Pfirsichen, Nüssen, Mirabellen und Aprikosen, unterlegt mit pflanzlichen Tönen. Im Mund präsentiert er sich saftig, geradlinig und ausgewogen mit Aromen von Zitrusfrüchten, Äpfeln und sehr reifen Birnen, pflanzlichen und mineralischen Noten, feiner Säure und zartem Schmelz im ordentlichen bis guten Abgang. Mit Luft wird er kraftvoller, behält aber seine beinahe noch jugendliche Erscheinung.
Den Weißburgunder tranken wir bei sommerlichem Wetter zu einer Gurkenkaltschale mit Minze, Croutons und Knoblauchgarnelen. Diese Kombination funktionierte, war aber nicht optimal; der Wein wurde straffer, doch er wirkte wie ausgebremst.
2017 Neuburger Leithaberg DAC
Ebenfalls ein trockener weißer Gebietswein. Im Duft zeigt er Noten von Äpfeln, Birnen und Nüssen sowie pflanzlich-würzige Töne. Im Mund wirkt auch er jung mit Aromen von Zitrusfrüchten, Äpfeln und Birnen, salzig-mineralischen Noten, animierender Säure und Zug im ordentlichen bis guten Abgang.
2017 Neuburger Privat Eisenstadt
Ein trockener weißer Ortswein, der eine gewisse Maischestandzeit hatte – und diesen Unterscheid merkt man deutlich. Der Duft offenbart Apfel- und Birnenschalen, Nüsse und Kräuter. Im Mund präsentiert sich der Wein kraftvoll und saftig mit Aromen von Pfirsichen, Aprikosen und Mirabellen, tiefgründiger Mineralität, feiner Säure und Schmelz im guten Abgang.
Beide Neuburger genossen wir zu in Nussbutter gebratenen Champignons und Kräuterseitlingen mit Brioche-Croutons und Kräutern. Der Leithaberg-Neuburger erwies sich dabei als passend, aber etwas brav. (Unserem Gastgeber kam als spontane Idee zu diesem Wein ein Quittensalat mit Granatapfelkernen in den Sinn.) Der Neuburger Privat war dagegen zu diesem Gericht ein Volltreffer: Wein und Speise gingen eine Symbiose ein, Aromen und Textur verschmolzen auf der Zunge. Großer Genuss!
2017 Blaufränkisch Leithaberg DAC
Der trockene rote Gebietswein duftet zuerst etwas animalisch, bevor sich dunkle Beeren (vor allem Brombeeren), Tabak und Gewürze in der Nase durchsetzen. Im Mund zeigt sich der Wein saftig, geradlinig und ausgewogen mit Aromen von Brombeeren, Kirschen und Gewürzen (deutlich Tellicherry-Pfeffer), feiner Säure, feinem Tannin und gutem Abgang.
2013 Blaufränkisch Gloriette
Die Trauben für diesen trockenen roten Lagenwein – das Flaggschiff des Weinguts –stammen aus der Riede Kirchberg in Kleinhöflein. Die Rebstöcke sind über 60 Jahre alt. In seinem komplexen, zuerst etwas animalischen Duft offenbart die Gloriette sehr reife Brombeeren, Leder, Zigarrentabak und sehr reife, teilweise getrocknete Pflaumen. Im Mund ist er saftig, vollmundig, sehr ausgewogen, sehr fein und komplex mit Aromen von Brombeeren, Himbeeren, Pflaumen, Kirschen und Gewürzen, Anklängen an schwarze Johannisbeeren und Kampot-Pfeffer, mineralischen Noten, feiner Säure, feinem Tannin und sehr gutem Abgang – kompakt, lebendig, sehr definiert und differenziert, präzise, geschliffen und stabil.
Beide Rotweine passten gut zu mariniertem Geflügel und Gemüse vom Grill mit Zitronenbulgur, geröstetem Brot und hausgemachter Kräuterbutter. Allerdings zeigten wir alle eine klare Präferenz für die Gloriette, die mit ihrer Komplexität, Finesse und Nachhaltigkeit einfach das eindrucksvollere Trinkerlebnis bot. Zufällig wurde dieser Wein übrigens im Dezember 2024 bei wein.plus aktuell verkostet und erhielt 90 Punkte. Später am Abend erwies die Gloriette sich auch noch als gelungene Partnerin zu einer kubanischen Zigarre, präzise einer Guantanamera Cristales.
Aperitiv
Diese oxidativ ausgebaute, trockene weiße Cuvée aus Weißburgunder, Neuburger und Gewürztraminer trägt keinen Jahrgang; das Lesegut stammt aber aus dem Jahr 2014. Der oxidative Duft erinnert an Walnüsse, getrocknete Feigen und Aprikosen sowie Tabak. Im Mund präsentiert sich der Wein geradlinig und durchaus kraftvoll, dabei harmonisch mit nussigen und salzigen Tönen, Aromen von teils getrockneten, teils eingemachten Brombeeren, Kirschen und Heidelbeeren, Noten von Nusslikör, mineralischen Anklängen, feiner Säure und gutem Abgang.
Entgegen dem, was der Name suggeriert, harmonierte der Aperitiv exzellent mit einer Auswahl von Hartkäsen aus Kuh- und Schafsmilch – einige davon mit Trüffeln. (Man sehe mir nach, dass ich die Käse an dieser Stelle nicht genauer benennen kann.)
2015 Weißburgunder Beerenauslese
Der edelsüße weiße Gebietswein duftet nach reifen, teilweise getrockneten Aprikosen, kandierten Orangen, Vanillemark und ätherischen Kräutern. Im Mund ist er sehr fein mit süßen Aprikosen- und Birnenaromen, Noten von Akazienhonig, karamellisierten Nüssen, kandierten Blutorangen und Tabak, feiner Säure, mineralischen Anklängen und einem sehr guten bis langen Abgang.
Zu Erdbeer-Carpaccio mit Joghurteis, Balsamico-Kaviar, Basilikum und Orangen-Olivenöl war dieser Dessertwein eine traumhafte Kombination.
In den sozialen Medien schrieb ich vor unserer kulinarischen Weinprobe: „Heute gibt es eine Verkostung gesammelter Werke vom Weingut Erwin Tinhof am Leithaberg im Burgenland aus den Jahrgängen 2017, 2015 und 2013. Das ist für diese Weine immer noch jung, aber sie werden sicher jetzt gut zu trinken sein.“ Wie in diesem Beitrag zu lesen ist, traf meine Erwartung vollumfänglich zu.