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Die „Momente der Wahrheit“ in diesem Beitrag beziehen sich auf gereifte, deutlich über 20 Jahre alte Weine. Denn die Wahrheit über die Qualität eines Weins zeigt sich immer erst, nachdem die Flasche geöffnet wurde.

Möglich wurde dieser Beitrag durch einen äußerst großzügigen Weinsammler aus der Nachbarschaft, eine Weinversteigerung, ein Sonderangebot im Weinfachgeschäft meines Vertrauens sowie einen ebenso generösen wie weinbegeisterten Freund. Aus diesen Quellen stammten die sieben Weine, die ich im vierten Quartal dieses Jahres nicht nur probieren, sondern sogar beherzt trinken und genießen durfte. Dabei habe ich wiederum viel gelernt und bin sehr dankbar für diese Gelegenheiten. Die titelgebenden „Momente“ erstreckten sich dabei mitunter über mehrere Stunden.

Es waren vier Rotweine und zwei Weißweine, deren Jahrgangsspektrum sich von 1985 bis 1998 erstreckte; ein Wein kam aus Deutschland, fünf kamen aus Frankreich. Die nachstehend wiedergegebene Reihenfolge entspricht nicht der der Verkostung, sondern spiegelt, nach Farben geordnet, meine persönliche Präferenz wider.

1992 Forster Freundstück Riesling Spätlese trocken von Heinrich Spindler1992 Forster Freundstück Riesling Spätlese trocken, Heinrich Spindler, Rheinpfalz

Die Lagen von Forst gehören zu meinen liebsten in der Pfalz, vielleicht sogar in ganz Deutschland. Diese trockene Riesling-Spätlese war zum Zeitpunkt der Verkostung 30 Jahre alt und duftete nach Zitrusfrüchten, Zitronenmelisse, Pfirsichen und Aprikosen mit Anklängen an Nüsse und Kräuter, einem Hauch Karamell sowie Noten von kandierten Mandeln. Im Mund erschienen hinter der präsenten, relativ feinen Säure Aromen von gratinierten Aprikosen sowie Zitrusfrüchten (vor allem Pomelo), dazu leicht pflanzlich-würzige und mineralische Töne sowie ein zart süßlicher Schmelz; ordentlicher Abgang. Nach zwei Stunden prägten Nüsse sowie grüne und gelbe Früchte das Aromenbild, der Wein präsentierte sich sehr aufgeräumt, geradlinig und ausgewogen mit mineralischem Fundament, ruhig und selbstbewusst. Bemerkenswert!

1993 Chardonnay Bourgogne Blanc, Jean Demont, Burgund

1993 Chardonnay Bourgogne Blanc von Jean DemontDieser weiße Burgunder mit der niedrigsten Herkunftsbezeichnung des Gebiets zeigte sich in klarer Bernsteinfarbe und übertraf unsere darauf gegründeten Erwartungen in geradezu gigantischem Maß. Die Nase offenbarte Aromen von Vanille, Zimt, Walnüssen, Kaiserschmarrn, teilweise getrockneten Quitten und Birnen sowie Marzipan. Im Mund zeigten sich zunächst salzig-mineralische Noten und eine feine, animierende Säure, dann Aromen von teilweise getrockneten gelben Früchten und Karamell, Schmelz, zart nussige und leicht röstige, an Kaffee erinnernde Töne, Noten von Marzipan und Persipan sowie ein guter bis sehr guter Abgang. Eine große Überraschung! Der Wein verstand nach fast drei Jahrzehnten in einer nahezu transparenten Flasche genau, dass jetzt sein einziger und letzter großer Auftritt gekommen war, richtete sich sofort, aber bedächtig auf und blieb dann würdevoll in seiner ganzen Größe stehen. Niemals hätten wir ihn in einer Blindprobe auf dieses Alter geschätzt. Über weit mehr als eine Stunde blieb er völlig stabil, wobei nach einer Dreiviertelstunde allmählich Noten von Kamillenblüten den langsamen Niedergang ankündigten. Doch wir tranken ihn mit Genuss und Faszination aus, noch bevor er entschlief.

1992 Cos d’Estournel Deuxième Grand Cru Classé Saint-Estèphe1992 Cos d’Estournel Deuxième Grand Cru Classé Saint-Estèphe, Bordeaux

Wieder 30 Jahre alt, diesmal Bordeaux – doch diese rote Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot und Petit Verdot war deutlich weniger gut in Form als die beiden Weißweine. Animalische Töne und Reifenoten sowie Aromen von dunklen Früchten, Gewürzen und Tabak prägten den Duft, im Mund präsentierte sich der Wein eher straff und geradlinig mit einer feinen, animierenden Säure, Beerenaromen und erdig-würzigen Noten, sanftem Tannin, mineralischem Unterbau und einem guten Abgang. Die erwartungsgemäße Eleganz war ihm nicht abzusprechen, mit der Zeit kamen Anklänge an Tabak zum Vorschein – aber besser als in seiner jetzigen Phase wird dieses Gewächs nicht mehr.

1985 Château Pontet-Canet Cinquième Grand Cru Classé Pauillac1985 Château Pontet-Canet Cinquième Grand Cru Classé Pauillac, Bordeaux

Mit fast 40 Jahren der älteste Tropfen in dieser Reihe, aber noch immer von beeindruckender Qualität. Im Duft zeigte die Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc etwas animalische sowie zedrige und rauchige Töne, dazu Noten von dunklen Beeren und etwas gegrillter Paprika. Im Mund  präsentierte sich der Wein straff mit Aromen von dunklen und auch roten Früchten, Anklängen an Rumtopf, erdig-würzigen Tönen, feinem Tannin, einer relativ präsenten, dabei harmonischen Säure, Noten von gerösteten Nüssen und einem ordentlichen bis guten Abgang. Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis er sich voll entfaltete und mit wohldosierter Kraft, Eleganz, Kühle sowie Noten von Zigarrentabak und -rauch bestach.

1994 Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande Réserve de la Comtesse Deuxième Grand Cru Classé Pauillac1994 Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande Réserve de la Comtesse Deuxième Grand Cru Classé Pauillac, Bordeaux

Die Réserve de la Comtesse ist der Zweitwein von Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande und wird aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot und Cabernet Franc vinifiziert. Der 1994er duftete leicht animalisch und zedrig sowie nach Gewürzen, Himbeeren und Pflaumen. Im Mund erwies er sich als relativ fest und kompakt mit einer feinen, saftigen Frucht von roten und schwarzen Beeren, feinsandigem Tannin, einer feinen, animierenden Säure, kühlen mineralischen Noten, erdig-würzigen Tönen und einem guten bis sehr guten Abgang. Dieser Wein lebte – und lebt weiterhin – von seiner Mineralität.

1998 Château Taillefer Pomerol1998 Château Taillefer Pomerol, Bordeaux

Diese Cuvée aus Merlot und Cabernet Franc offenbarte in ihrem feinen und durchaus tiefen Duft Aromen von dunklen Früchten, rauchige Anklänge sowie Noten von Gewürzen, etwas Zedernholz und Tabak – sehr klassisch. Im Mund präsentierte sich der Wein geschliffen und frisch mit Aromen von Brombeeren, schwarzen Johannisbeeren, Sauerkirschen, Tabak, gerösteten Nüssen und Gewürzen, sehr feinem Tannin, sehr feiner Säure, kühlen mineralischen Noten, Eleganz und einem guten bis sehr guten Abgang. Mit Luft wurde er immer freigiebiger und opulenter, behielt aber seinen Schliff und entwickelte Aromen von roten Früchten sowie würzige Tabaknoten.

1993 Château Phélan-Ségur Cru Bourgeois Exceptionnel Saint-Estèphe1993 Château Phélan-Ségur Cru Bourgeois Exceptionnel Saint-Estèphe, Bordeaux

Der für mich beste Wein unter den hier vorgestellten war diese wiederum fast 30 Jahre alte Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc. Der tiefe, komplexe und sehr feine Duft zeigte Aromen von Tabak, getrocknetem Getreide, Gewürzen, Nussschalen, roten Früchten (präzise Erdbeeren) und etwas Vanille. Auch der Gaumeneindruck war sehr fein und vielschichtig mit Noten von Erdbeeren, Vanille, Tabak, Nüssen, Gewürzen, Pflaumen und Brombeeren, feinem Tannin, einer feinen, animierenden Säure und mineralischen Tönen – elegant und differenziert mit sehr gutem Abgang. Mit Luft entwickelte der Wein förmlich Flügel, ohne jedoch dabei seine Erdverbundenheit zu verlieren. Eindrucksvoll!