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Auch im vergangenen Jahr habe ich unter der Rubrik „Hochgeistiges“ jeden Monat eine Spirituosen-Kolumne im ef-Magazin veröffentlicht. Die gesammelten Kolumnen 2014 habe ich wieder nachfolgend hier im Blog zusammengestellt.

Langatun Old Bear

Mit Rauch und Rotweinholz

ef 139 – Januar/Februar 2014

Langenthal ist ein beschaulicher Ort im Schweizer Kanton Bern. Erstmals urkundlich erwähnt wurde er im Jahr 861 als „Langatun“, und rund 1000 Jahre später ließ sich hier der Braumeister und Brenner Jakob Baumberger nieder. Dessen Urenkel Hans III. besann sich 2007 – nachdem die Brau- und Brenntradition über die Familiengenerationen weitergegeben worden war – auf die alte Bezeichnung des Ortes und spezialisierte sich unter dieser Marke auf die handwerkliche Herstellung von Single Malt Whisky.

Einer davon ist der „Old Bear“, benannt nach dem Logo der Brauerei, die Jakob Baumberger 1860 übernommen hatte. Für ihn wird Gerstenmalz aus den besten Lagen Europas erst leicht geräuchert, dann eingemaischt und mit englischer Stout-Hefe vergoren, wobei das besonders weiche Wasser einer Quelle oberhalb von Langenthal zum Einsatz kommt. Der Whisky wird dreifach gebrannt und lagert dann in Eichenfässern, die zuvor die dunklen, würzigen Rotweine aus Châteauneuf-du-Pape beherbergt haben.

Ich hatte das Vergnügen, den „Old Bear“ in Fassstärke mit 63,4 Volumenprozent Alkohol zu probieren – destilliert im April 2008, abgefüllt im August 2012. In der Nase zeigt er Aromen von Tabak, Getreide, Gewürzen, Milchschokolade und Nougat, Mandeln, Nüssen, Malz und Zedernholz sowie Vanille, etwas Honig, Blüten und Orangenzesten. Auch im Mund macht Tabak den Anfang, dann folgen Holz, Gewürze (vor allem Nelken), Honig, kandierte und getrocknete Früchte (Aprikosen, Orangen) sowie Kandis, Nougat und wiederum süßliches Malz. Im leeren Glas hallen Rauch, Malz und Tabak noch lange nach.

Mit seinem komplexen, kraftvollen Charakter, seiner Nachhaltigkeit und dem präsenten, wärmenden Alkohol macht der „Alte Bär“ seinem Namen alle Ehre; dabei ist er sehr lebendig und erinnert in seiner rassigen und verspielten Art sogar mitunter fast eher an einen jungen Hund. Aus den Schweizer Bergen kommt so ein erdiger und vielseitiger Whisky, dem die schokoladigen Noten – gerade im Winter – einen eigenen Charme verleihen.

Carafe

Bas-Armagnac Vignobles Fontan

ef 140 – März 2014

Es war ein geselliger, genussreicher und weinseliger Abend in einem ausgezeichneten Restaurant in Nürnberg. Bei sommerlichem Wetter saßen wir draußen auf der Terrasse. Irgendwann veranlasste mich ein menschliches Bedürfnis, in das Lokal zu gehen, und als ich erleichtert wieder auf dem Weg nach draußen war, fiel mein Blick auf einige Digestif-Flaschen, die in einem Regal hinter der Theke standen. Neugierig blieb ich stehen, um sie mir genauer anzusehen, und stellte fest, dass eine besonders markante Flasche mit auffälliger Form und Ornamenten die eines Armagnacs war, der mir nie zuvor begegnet war. So lernte ich „Carafe“ von der Familie Fontan kennen.
 
Die Domaine de Grachies – so heißt das Familiengut in der Gascogne – war bis 1985 ein Landwirtschaftsbetrieb und wurde dann komplett auf Weinbau umgestellt. Im Jahr 2000 übernahmen Sylvain und Nadège Fontan die Domaine von ihren Eltern Jean-Claude und Aline. Aus den Trauben des Guts produzieren die Geschwister Wein und Weinbrand – eben Armagnac.

Der „Carafe“ stammt aus dem Jahr des Generationswechsels in der Domaine und durfte zwölf Jahre reifen, bevor er in den Verkauf kam: gebrannt im Jahr 2000, abgefüllt als Assemblage von Bränden aus mehreren Barrique-Fässern im Dezember 2012. Ausschließlich die Rebsorte Ugni Blanc wurde für den Grundwein verwendet, und das fertige Destillat hat 42 Volumenprozent Alkohol.

In der Nase zeigt sich der „Carafe“ animierend und vielschichtig mit Aromen von Tabak, feiner Holzwürze, getrockneten Pflaumen und Orangen, ein wenig Jod, Nelken, Pfeffer und etwas Karamell. Die Zunge taucht er in ein Bad aus Kandis, kandierten Kirschen, Pflaumen, getrockneten Aprikosen, Gewürzen und Tabak mit erdigen Tönen sowie Anklängen an Kräuter. Er ist fein, warm und nachhaltig – und trotz der Tabak-Assoziationen für eine Zigarre entschieden zu subtil. Dieser Weinbrand verdient die alleinige Aufmerksamkeit; er ist sehr typisch und vermittelt als äußerst exquisiter Vertreter seiner Art das Wesen des Armagnacs.

Morand Williamine

Markenbirne mit Herkunftsgarantie

ef 141 – April 2014

Die edlen Brände der Schweizer Destillerie Morand lernte ich während meiner gastronomischen Ausbildung vor über 20 Jahren kennen. Schon von jeher ist die Birne meine favorisierte Frucht bei Obstbränden, und die „Williamine“ mit der Herkunftsbezeichnung Valais AOP ist geradezu ein Klassiker.

Auf dem Rückenetikett der Flasche sind die Zutaten angegeben: „Gletscherwasser, Erde und Sonne, Walliser Williamsbirnen, Kupfer und Dampf, Familientradition.“ Letztere reicht zurück bis 1889: Vor 125 Jahren gründete Louis Morand das Unternehmen, das zunächst vor allem Likör und Absinth produzierte. 1953 destillierte Sohn André erstmals die Williamsbirnen aus dem Rhônetal und schuf damit die Marke „Williamine“.

Auf jede Flasche Eau-de-vie kommen bei Morand acht Kilogramm Birnen. Die Früchte werden reif gepflückt und von Hand sortiert, dann zerstampft und 10 bis 30 Tage in Kupfertanks fermentiert. Auch die Brennkessel sind aus Kupfer, und die Destillation erfolgt sehr langsam und sorgfältig kontrolliert in drei Stufen. Die geschützte Herkunftsbezeichnung (AOP = Appellation d‘Origine Protégée) garantiert, dass die Williamsbirnen mit einem Mindestdurchmesser von 52,5 Millimetern ausschließlich aus dem Wallis (frz. Valais) stammen und dass auch Fermentation und Destillation im Wallis durchgeführt worden sind. Der hochprozentige Brand reift sechs bis acht Monate in Tanks, bevor er auf die Trinkstärke von 43 Volumenprozent Alkohol herabgesetzt wird und auf den Markt kommt.

Die „Williamine“ duftet natürlich nach Birne – aber nicht irgendwie nach Birne: Es ist präzise das weiße Fruchtfleisch sehr reifer Williams-Christ-Birnen; dazu kommen sehr reife Quitten und kernige Noten, tatsächlich das Birnen-Kerngehäuse. Im Mund ist der Brand bemerkenswert weich und sanft, aber gleichzeitig kraftvoll und tief mit Aromen von reifen Birnen und Quitten sowie Anklängen an fein gehackte Kräuter; im Abgang erscheinen nussige Töne und etwas Minze, bevor eine klare, erdige Birnenfrucht lange nachhallt.

Talisker TD-S: 5NZ

Süßer Sherry am Ende

ef 142 – Mai 2014

Sein Name wirkt wie ein mysteriöser Code – eine seltsame Buchstaben-Ziffern-Kombination. Er bezeichnet das Fass, aus dem dieser Whisky von der Isle of Skye stammt. Der „TD-S: 5NZ“ von Talisker ist somit ein Single Cask Whisky und gehört zur „Classic Malts Selection“ des Spirituosenkonzerns Diageo, der die 1830 gegründete Brennerei heute führt. Die Whiskys der „Distiller‘s Edition“ innerhalb dieser Linie zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen doppelten Reifeprozess durchlaufen, für dessen zweiten Teil besondere Fässer zum Einsatz kommen.

Die Isle of Skye ist die größte der Hebrideninseln an der schottischen Westküste, und Talisker ist inzwischen die einzige Destillerie dort. Sie liegt im Westen der Insel in dem kleinen Ort Carbost, am Ufer des Loch Harport und nahe den Cuillin Hills. Die Whiskys werden zweifach gebrannt, und die marketingträchtige Angabe „Made by Sea“ stimmt insoweit, als die Lagerhäuser von Talisker keine Fensterscheiben, sondern Drahtgitter haben, durch die die Meeresluft vom Nordatlantik hereinweht. Das sehr jodhaltige Wasser für die Whisky-Produktion stammt aus 14 Quellen in den Hawk Hills und läuft durch Moorgebiet, was den Destillaten intensive Torfnoten gibt. Darüber hinaus ist das bei Talisker verwendete Gerstenmalz sehr phenolhaltig.

Der „TD-S: 5NZ“ wurde im Jahr 2000 destilliert und reifte dann zuerst in einem amerikanischen Bourbon-Whisky-Fass. Sein Finishing erhielt er danach in einem Amoroso-Sherry-Fass, bevor er im Jahr 2011 mit 45,8 Volumenprozent abgefüllt wurde. Im Duft trägt er Tabak, Oliven und Rauch (Barbecue-Sauce), Ahornsirup, getrocknete Früchte (Aprikosen, Feigen), Kirschkerne sowie medizinale, jodige Töne. Auf der Zunge entfaltet sich eine warme, runde, kraftvolle Aromatik mit Tabak, Kandis, Karamell, Rauch, Salz, Jod, Gewürzen (Nelke, Lorbeer), getrockneten Blättern und Laub sowie nussigen Anklängen (Mandeln, Bucheckern) und torfiger Würze. Dieser Whisky ist ein Ausrufezeichen: markant, nachhaltig und sehr komplex!

Xellent

Neuentdeckung des Wodkas

ef 144 – August 2014

„Er wird auch als ‚Szene-Wodka‘ bezeichnet, da er häufig in Diskotheken getrunken wird“, steht bei Wikipedia. Von mir aus. Das zeigt nur, dass sogar die Partygesellschaft Geschmack hat. Denn der Xellent verdient weit mehr, als auf ein Wirkungsgetränk für feierwütige Yuppies reduziert zu werden.

Ich lernte ihn stilvoll bei einem Freund zu Hause kennen und trinke sonst überhaupt keinen Wodka, doch dieser hier hat es mir angetan. Er kommt aus der Schweiz und wird aus hochwertigem Roggen der Sorten Picasso und Matador gebrannt, die im Voralpengebiet auf 500 bis 800 Metern Höhe wachsen. Die Destillerie DIWISA, die den Xellent herstellt, sitzt in Willisau bei Luzern und hat ihre Anfänge im Jahr 1918. Heute gilt sie als eine der modernsten Brennereien Europas und produziert den Wodka nach einem speziellen, laut Unternehmen weltweit einzigartigen Verfahren: Die Roggenmaische aus Getreide und Gletscherwasser wird zunächst in kleinen Kupferkesseln vordestilliert. Dieser erste Brand läuft dann durch eine ebenfalls kupferne Glockenkolonne mit 45 Böden, aus der das Destillat mit 96 Volumenprozent Alkohol herauskommt. Danach wird der Wodka für einige Monate eingelagert und nach dieser Ruhezeit in mehreren Stufen mit dem leicht alkalischen Wasser des Titlis-Gletschers auf die Trinkstärke von 40 Volumenprozent gebracht.

Der Duft verführt mit feinen grün-pflanzlichen Noten von Gras und Kräutern, im Hintergrund klingen Limetten und Getreide an. Auf der Zunge ist der Xellent sehr fein und zeigt Aromen von Gras und Heu, Getreide und Zitrusfrüchten; er ist vielschichtig und nachhaltig, dabei geradlinig und schlank, er hat eine gewisse Wärme, aber keinerlei Schärfe. Beim Nachschmecken ist Roggen deutlich erkennbar, so dass der Ursprung des Brands herauskommt.

Mit Kartoffelschnaps hat der Xellent nicht das Geringste zu tun und auch im Kühlschrank nichts zu suchen. Er braucht Zimmertemperatur, um sich zu entfalten.
Xellent ist Wodka für Anspruchsvolle; er betäubt nicht – er schließt auf.

Calvados Morin Hors d‘Âge 15 ans

Eine Ahnung vom Jenseits

ef 145 – September 2014

In Ivry-la-Bataille, einem kleinen Ort im Tal des Flüsschens Eure in der Normandie, liegt die Calvados-Brennerei Morin. 1889 ursprünglich als Handelshaus in La-Haye-de-Calleville gegründet, bezog das Unternehmen im Februar 1945 das Gelände der früheren Distillerie de Thélème, eines renommierten Likörproduzenten in der Region. Hier gibt es eine Besonderheit, die nach Firmenangaben einzigartig in der Normandie ist: ausgedehnte prähistorische Gewölbekeller, in denen spezielle Reifebedingungen für den Calvados herrschen.

Etliche hundert Fässer aus Limousin-Eichenholz lagern in dem unterirdischen Areal, das sich tief in die kreidigen Felsen gräbt. In ihnen reift der Brand aus Äpfeln bester normannischer Lagen bei nahezu 100 Prozent Luftfeuchtigkeit und kühlen Temperaturen heran. „Die jungen Destillate, die ausgewählt werden, um zu altern, liegen zunächst in Gebinden von 300 bis 400 Litern in dem Kellerklima“, heißt es bei Morin. „Die sehr feuchte Atmosphäre ist ideal für die Reife des Calvados, der in der Stille und geschützt vor den Erschütterungen der Stadt seinen Charakter ausbildet.“

Für den Hors d‘Age (mit 42 vol% Alkohol) werden Brände verschiedener Herkünfte miteinander vermählt, die 15 Jahre und älter sind. Was ihn in der Nase auszeichnet, ist eine geradezu betörende Komplexität mit Noten von Karamell, Tabak, kandierten Äpfeln, eingemachten Birnen und Quitten, Tomatenconsommé mit Basilikum (klingt aberwitzig, ist aber so), Pecannüssen sowie kandierten Aprikosen und Orangen – insgesamt also eine gleichzeitig süßliche und würzige Prägung mit unterschiedlichen Schattierungen. Im Mund machen sich zuerst reife Äpfel bemerkbar, dazu kommen kernige und nussige Aromen, ein Hauch Zimt und Nelken, Karamell, Aprikosenkonfitüre, Eisenkraut, Bitterorangen und Tabak. Der Brand ist auf der einen Seite puristisch und zwingend, auf der anderen Seite nachhaltig und fein, sanft und weich – tief, lang, in sich ruhend. Ein meisterlicher Calvados zum Genießen, Nachdenken und Meditieren.

Auer Muskatbrand 2003

Traubendestillat vom Winzer

ef 146 – Oktober 2014

Die Familie Auer betreibt in der österreichischen Thermenregion (südlich von Wien) ein Weingut mit 18 Hektar Rebfläche. Das besondere Augenmerk des Betriebs liegt auf den Rotweinen, im Bestand sind aber auch diverse weiße Sorten. Winzer Leopold Auer ist wohl das, was man eine Seele von Mensch nennt – eher ruhig im Wesen, ausgesprochen liebenswürdig und stets bestrebt, aus jedem Jahrgang und jedem Weingarten die bestmögliche Qualität zu keltern.

Ein Stückchen dieser Seele muss Auer auch dem klaren Muskat-Traubenbrand mitgegeben haben, den er im Jahr 2003 destilliert hat. Denn der ist ein echtes Erlebnis. Wohlgemerkt: Es handelt sich nicht um einen Tresterbrand (aus den Überresten der Gärung bei der Weinherstellung), sondern er wird aus der vergorenen Traubenmaische gewonnen und – im Unterschied zum traditionellen Weinbrand – nicht im Holzfass ausgebaut. Insofern ist er ein klassischer Obstbrand, hier eben aus Muskat-Trauben. Mit 39,5 Volumenprozent hat er eine leicht unterdurchschnittliche Stärke, doch schwach ist er deswegen beileibe nicht; er profitiert sogar eher davon.

Schon die Flaschenausstattung verspricht Klarheit, Stringenz und Konzentration: dunkelgraues Etikett, messingfarbene, weiße und hellgraue, schnörkellose Buchstaben, alles modern, reduziert und aufgeräumt. Konzentriert und fein ist der Brand auch sensorisch, doch dabei entfesselt er eine bemerkenswerte Kraft und Komplexität. Man riecht daran, und sofort werden alle Sinne geweckt: Der Duft ist geprägt von Heu, getrockneten Aprikosen, Feigen, Marzipan, Dörrpflaumen, Bergamotten und Kräutern. Dann benetzt man die Zunge – und ist wie elektrisiert... Muskat, Rosenblüten, Kumquats, reife Aprikosen, später auch Nougat und Mandeln... Man schluckt – und es ist, als schlüge eine zwei Meter hohe eiskalte Welle über dem Kopf zusammen. Doch danach taucht man unversehrt auf, und tiefes Wohlbefinden stellt sich ein. Was zurückbleibt, ist grasig-würzig, dabei mild, nachhaltig, prägnant und lang. Ganz außergewöhnlich!

Serre 60° Grappa di Verdiso

Trester aus Treviso

ef 147 – November 2014

In der italienischen Provinz Treviso (Region Venetien) produziert das Familienunternehmen Serre hochklassige Schaum-, Perl- und Stillweine unter dem Motto „Quintessenza del Terroir“. Das Gebiet ist die Heimat des Prosecco Valdobbiadene Superiore (als kontrollierte und garantierte Ursprungsbezeichnung DOCG).

Die hügelige Landschaft gleicht einem natürlichen Amphitheater, und die Weinberge liegen an steilen Hängen auf 300 bis 500 Metern Höhe. So bekommen die Trauben einerseits viel Sonne, um gut auszureifen, und können andererseits – bedingt durch die großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht – genug Säure ausbilden, um beste Grundweine für die Spumanti zu liefern. Das Weingut arbeitet biologisch und nachhaltig, und seit 2011 sind die Weine (siehe Wein-Kolumne dieses Monats) auch für Vegetarier und Veganer geeignet.

Ich lernte die Weine von Serre durch einen italophilen Freund und Kollegen kennen und war auf Anhieb begeistert. Völlig beeindruckt war ich allerdings von Serres „Grappa di Verdiso 60°“, den mir eben dieser Freund kürzlich vorstellte. Laut Stempel auf dem Rückenetikett der Flasche wurde der Tresterbrand im März 2003 destilliert – ausschließlich aus Trauben der Rebsorte Verdiso, die in den Bergen um Treviso am weitesten verbreitet und für die Weine der DOCG Conegliano-Valdobbiadene Prosecco zugelassen ist. Ein Grappa mit viel regionalem Herkunftsbezug also.

Vielleicht ist auch deshalb das sinnliche Erlebnis so intensiv – und so eigen: in der Nase Hafer(!), angetrocknete Äpfel, Quitten und Nüsse; auf der Zunge Pesto (Basilikum und sehr deutlich Pinienkerne), Grünkern, reife Quitten und Kräuter, dazu erdige und nussige Aromen sowie Jod, Limetten und Zitronenverbene. Der Brand ist komplex und lang, dabei extrem fein und mild; die 60 Volumenprozent Alkohol, die ihm seinen Namen geben, sind nicht zu spüren.

Wir haben an jenem Abend nach dem Grappa noch mehrere Weine getrunken – und der 60° war weiterhin stets präsent; nie störend, doch immer wieder schmeckbar.

Hennessy Paradis

Wie ein Windhauch von Sternenstaub

ef 148 – Dezember 2014

Bei einem Freund hatte ich die einzigartige Gelegenheit, eine sehr seltene und teure Spirituose zu probieren: den Paradis von Hennessy – bereits auf der extravaganten, edlen Flasche ausgewiesen als „Rare Cognac“.

Vor 35 Jahren kreierte Maurice Fillioux – damals Master Blender (Verschnittmeister) bei Hennessy – diesen außerordentlichen Weinbrand. Für ihn werden etwa hundert einzelne Destillate miteinander vereint, die zwischen 25 und 130 Jahre alt sind – nur die besten und feinsten Jahrgänge der besten Terroirs. Sie werden direkt nach dem Brennen dafür ausgewählt. Seinen Namen verdankt der Cognac dem Keller, der ausschließlich den besonders hochwertigen Bränden von Hennessy vorbehalten ist und der „Paradis“ (also Paradies) genannt wird. „Der Paradis-Keller bewahrt die Seele des Hauses. Mindestens 50 Jahre reifen die Destillate langsam in Eichenholzfässern, die ihre Gerbstoffe im Laufe der Jahre abgegeben haben, bis sie eine unvergleichliche Reinheit erlangen“, heißt es bei Hennessy zur Erklärung. „Der Paradis ist die Verkörperung dieses Geistes und dieses Ortes.“ Mit 40 Volumenprozent liegt der Cognac dabei in der üblichen Alkoholstärke.

Tiefe, Feinheit und Komplexität zeigen sich schon im Duft, der von Tabak, Walnüssen und dunklem Karamell über Zimt und Zedernholz bis zu Feigen, Schwarzkirschen und sogar Himbeersirup reicht. Auf der Zunge offenbart sich dann eine geradezu unendliche Finesse; nur wenige Tropfen genügen, um den Mund über Minuten auszufüllen. Im Grundtenor ist der Weinbrand herb-gewürzig, das Aromenspiel umspannt ein Feld von Zigarrentabak (vornehmlich aus Kuba oder Nicaragua), Jod und getrockneten Pflaumen sowie kandierten und getrockneten Aprikosen. Dieser Cognac ist so tief und vielschichtig, dass es einem fast die Sinne raubt, dabei absolut unaufdringlich und von betörender Länge.

Auch eine geöffnete Flasche hält sich übrigens nachweislich über mehr als 20 Jahre – was angesichts der Investition von mehreren hundert Euro beruhigend wirken mag.

Bonus:

Feel! Munich Dry Gin

Sinnlich, ehrlich, zitrusfrisch

ef 149 – Januar/Februar 2015

Korbinian Achternbusch aus München ist Mitte 20, Textilreinigermeister – und wollte aus einer Bierlaune heraus einen eigenen, besonders fruchtbetonten Gin erzeugen. Er ließ sich von Obstbrennern in die Kunst der Destillation einweisen und tüftelte ein Jahr lang an der perfekten Kombination der Zutaten für sein Produkt. In einer gemieteten Garage richtete er eine hochmoderne 150-Liter-Brennanlage ein und begann 2012 mit der Herstellung von „Feel! Munich Dry Gin“ – was nach wie vor ein nebenberufliches Ein-Mann-Projekt ist.

17 Botanicals (Früchte, Kräuter und Gewürze) – überwiegend aus Deutschland – verarbeitet Achternbusch in seinem Gin, darunter Wacholder, Limetten, Blaubeeren, Aroniabeeren, Koriander, Kubebenpfeffer, Zitronenmelisse und Lavendel. Alle Ingredienzen stammen aus kontrolliert biologischem Anbau und werden drei Tage lang in Agraralkohol aus Bioweizen mazeriert. Wie alles andere ist auch die anschließende Destillation im Kupferkessel reine Handarbeit. Nach schonender Filtration wird der Gin auf die Trinkstärke von dezent wärmenden 47 Volumenprozent Alkohol gebracht und danach abgefüllt, etikettiert und verpackt. Bevor er in den Verkauf kommt, ruht er noch drei Monate, um sich zu harmonisieren.

Abgesehen von seinem Biozertifikat ist der Feel! Gin sogar vegan, denn er wird nicht über Eiweiß gefiltert. Da er auch nicht mit Kälte behandelt wird, sind die Aromen besonders ausgeprägt, und die Zitrusbetonung ist markant: In die Nase steigt ein komplexer, feiner und animierender Duft nach Wacholder, Pfeffer, Zirbennadeln, Zitronenzesten und Zitronengras. Auf der Zunge sind deutlich kandierte und getrocknete Limetten zu schmecken, dazu eine geradezu betörende Kräuterwürze, Noten von Zitronenmelisse, Petersilienwurzel, Salbei und Eisenkraut sowie medizinale und erdige Anklänge. Der Geschmack ist bemerkenswert differenziert; Wacholder erscheint erst nach einigen Sekunden, dann aber auf der Überholspur und lang nachhallend. Sehr nachhaltig und vielschichtig!