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Ein Freund von mir absolviert in einem 5-Sterne-Hotel in einer deutschen Großstadt eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Was er nach einem guten halben Jahr von dort berichtete, machte mich einigermaßen fassungslos.

Dieser Blogbeitrag soll dabei helfen, die geschilderten Vorkommnisse zu reflektieren und organisatorische Missstände beispielhaft offenzulegen. Er will aber niemanden diskreditieren oder denunzieren, so dass sowohl die handelnden Personen als auch das betreffende Hotel anonym bleiben sollen. Nennen wir unseren Protagonisten daher einfach Tom.

Vorgeschichte

Tom ist ein temperamentvoller, kommunikativer, empathischer, hilfsbereiter und stets fröhlicher junger Mann. Schon seit ich ihn kenne, stellt er eine sehr hohe Serviceorientierung unter Beweis, die er vor seiner Hotelausbildung bereits im Einzelhandel erfolgreich anwenden konnte. Die Hotellerie faszinierte ihn jedoch noch mehr – ähnlich wie mich vor 30 Jahren –, und so bewarb er sich bei den besten Häusern in der seinem Wohnort nächstgelegenen Großstadt. Schließlich konnte er sich aus drei Angeboten seinen Ausbildungsplatz aussuchen und war extrem stolz, dass er von einem jetzigen Lehrbetrieb, der als „Flaggschiff“ (Wikipedia) der betreibenden Hotelgruppe gilt, angenommen wurde.

Erster Vorfall

Mit viel Begeisterung, Lernwillen, Arbeitseifer und Einsatzbereitschaft begann Tom im Herbst vergangenen Jahres seine Ausbildung, und auch seine Vorgesetzten und die Personalverantwortlichen zeigten sich sehr zufrieden mit seinen Leistungen. Bereits im  regulären Beurteilungsgespräch am Ende seiner Probezeit gab es jedoch ein Feedback, das uns aufhorchen ließ. Man sagte Tom, dass er seine Arbeit sehr gut mache, doch es gebe einen einzigen Kritikpunkt: Er sei „zu fröhlich“ bei seiner Tätigkeit.

Noch absurder als diese Aussage erschien uns die Begründung dazu: Wenn er zu allen Kolleginnen, Kollegen und Gästen bedingungslos freundlich sei und ihnen stets mit strahlendem Lächeln gegenübertrete und wenn er bei der Arbeit hinter den Kulissen (also außerhalb des Gästebereichs) lache und singe – wobei ich keinen Zweifel daran habe, dass das jederzeit in zumutbarer Lautstärke geschieht –, dann ergäben sich daraus zwei Schlussfolgerungen. Erstens entstehe bei Vorgesetzten und im Kollegkreis der Eindruck, dass er zu wenig oder nicht richtig arbeite, denn – so die Unterstellung – wenn man „ordentlich“ oder „vernünftig“ arbeite, habe man weder Zeit noch Veranlassung, zu lachen oder gar zu singen. Und zweitens würden Gäste, wenn Tom sie so fröhlich und mit strahlender Freundlichkeit behandle, bemerken, dass die übrigen Hotelangestellten nicht so herzlich und zuvorkommend seien, und diese Wahrnehmung wolle man vermeiden.

Intermezzo

Ich fasse das noch einmal zusammen: Da ist ein Hotel, das sich laut seiner Internetseite durch „luxuriöses Ambiente und erstklassigen Service“ auszeichnet, und dieses Hotel stellt fest, dass einer seiner Auszubildenden besonders viel Freude bei seiner Arbeit hat und diese Freude auch offen zeigt, sowohl gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen als auch gegenüber den Gästen des Hauses. Doch anstatt diese hohe Motivation zum Vorbild zu erheben und sie nutzen und zu fördern, soll sie gedämpft werden; anstatt darauf hinzuwirken, dass möglichst alle Hotelangestellten den Gästen mit ähnlicher Freundlichkeit gegenübertreten, wird derjenige, der – so formuliere ich das hier mal – die Gastgeberrolle schon in seinem Grundwesen am stärksten verinnerlicht und den gastgewerblichen Auftrag am besten verstanden hat, darauf hingewiesen, dass er sein Verhalten doch bitte ändern möge, um erstens keine Diskrepanzen in der Servicekultur entstehen und zweitens bei anderen keine Defizite in dieser Hinsicht wahrnehmbar werden zu lassen.

Das widerspricht meinem Verständnis von Spitzenhotellerie und -gastronomie eklatant.

Zweiter Vorfall

In den folgenden Wochen und Monaten sollte sich offenbaren, dass das Hotel seine Absicht ernst meinte. Es mehrten sich Zurechtweisungen und sogar Feindseligkeiten innerhalb des Kollegenkreises. Ohne hier ins Detail zu gehen, sehe ich mindestens in Teilen durchaus das erfüllt, was gemeinhin unter Mobbing verstanden wird. Darüber hinaus nahmen Schikanen seitens bestimmter Vorgesetzter zu – ein Beispiel: Kurz vor seinem planmäßigen Dienstschluss bekommt Tom aufgetragen, noch irgendwelche Gerätschaften zu putzen, die, wie ein verwunderter Kollege angesichts dieser Anweisung meinte, „seit Jahren“ nicht geputzt worden seien; Überstunden als Erziehungs- und Druckmittel?

Eine neue Qualität erreichte diese Vorgehensweise nun vor wenigen Tagen mit der Äußerung einer Vorgesetzten, nachdem Toms Fröhlichkeit und Freundlichkeit noch immer nicht „gebrochen“ worden sind. Sie sagte ihm ins Gesicht: „Du bist nicht hier, um fröhlich zu sein, sondern um zu bluten.“

Und diese Aussage, die ich für ungeheuerlich, absolut deplatziert und grausam halte, versuche ich – stellvertretend für Tom öffentlich – mit diesem Blogbeitrag zu verarbeiten. Was für ein Menschenbild und was für ein Führungsverständnis stecken da dahinter?

Ordnende Gedanken

Um einige Punkte klarzustellen:

Die vorangegangenen Schilderungen beruhen ausschließlich auf der Darstellung von Tom. Sie sind also zugegebenermaßen einseitig, und ich bin kein neutraler Beobachter, sondern aufgrund meiner Freundschaft zu Tom befangen. Meine Ausführungen hier können aber der Anfang einer Aufarbeitung sein. Für sämtliche weiteren Betrachtungen nehme ich an – und habe keinen Grund, das nicht zu tun –, dass sich das Geschilderte so zugetragen hat. Für eine valide Beurteilung muss aber in jedem Fall die Sichtweise der Vorgesetzten und Personalverantwortlichen im Hotel eingeholt werden. Um diese haben wir jetzt schriftlich gebeten.

Es geht hier nicht darum, dass im Gastgewerbe – mindestens hinter den Kulissen – mitunter ein rauer Umgangston herrscht. Ich habe selbst in der Hotellerie gelernt und gearbeitet und nicht zuletzt meine Diplomarbeit zum Abschluss meines Studiums über die Konflikte zwischen Küche und Service geschrieben. Ich weiß, wie es zugehen kann, und kenne auch die Hintergründe.

Wir müssen auch nicht die Redewendung bemühen, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Es geht hier nicht darum, dass jemand nicht arbeiten will, dass er faul ist oder unverhältnismäßig viele Fehler macht, und es geht auch nicht um Insubordination oder Aufsässigkeit oder darum, dass jemand sich für bestimmte Tätigkeiten und Mühen zu schade ist.

Hier geht es darum, dass einem jungen Menschen, der hochmotiviert und begeistert und mit großem Einsatz und Stolz auf seinen Arbeitgeber eine Ausbildung absolviert, gezielt Verhaltensweisen aberzogen oder „ausgetrieben“ werden sollen, die zum Wesen und Erfolg seines Berufs gehören. Hier soll eine denkbar positive Einstellung zum Negativen verändert werden, weil es anscheinend nicht in die gedankliche Welt der Dienstleiterinnen und Dienstleiter (!) in diesem „Luxus-Hotel“ (Internetseite) passt, dass jemand Freude an seiner Arbeit hat und diese offen zeigt. Was wollen diese Leute denn? Irgendwelche Zombies, die widerspruchs- und geräuschlos ausschließlich das tun, was man ihnen befiehlt? So, mit Verlaub, funktionieren Hotellerie und Gastronomie nicht, erst recht nicht auf hohem Niveau.

Ich kann verstehen, dass Menschen davon genervt sind, wenn jemand in ihrem beruflichen Umfeld viel redet, lacht oder sogar singt. Das ist auch in vielen Situationen unangebracht. Doch wenn es darum geht, dass diese Verhaltensweisen stören, kann man die betreffende Person freundlich, aber auch deutlich genug darauf hinweisen und sie bitten, künftig mehr Rücksicht zu nehmen und sich diskreter zu benehmen. Solche Gespräche kann man auch mehrfach führen, wenn es sein muss.

Doch das ist hier nicht passiert. Hier fühlen sich Menschen offenbar dadurch belästigt, dass jemand grundsätzlich ein fröhliches Gemüt hat, und wollen das unterbinden. Und das finde ich nicht weniger als pervers – zumal das zuletzt mit einer Äußerung geschehen ist, die man auch als Drohung verstehen könnte und die eher in einem militärischen Kontext denkbar erscheint als in einem Kontext, der von Gastfreundschaft und Wohlbefinden geprägt ist. Das ist weder zielführend noch zeitgemäß, und es widerspricht meines Erachtens sowohl der Fürsorgepflicht des Ausbildungsbetriebs als auch einer Führungskompetenz, die diesen Namen verdient.

Denkanstöße aus der Fachliteratur

Ich darf an dieser Stelle aus meiner oben angesprochenen Diplomarbeit zitieren: „Besonders die Hotelmitarbeiter in Bereichen mit hoher Gastkontaktintensität haben unmittelbaren Einfluss auf die Dienstleistungsqualität und sind damit in sehr sensibler Weise für die Kundenzufriedenheit (oder allgemein Kundenreaktionen) verantwortlich. Die Dienstleistung als solche ist in diesen Bereichen noch einmal teilbar, und zwar im Hinblick auf die Person des Dienstleistenden: in eine fachliche Komponente, die kognitiv verankert ist (etwa das Bedienen technischer Geräte oder das Beherrschen von Serviceregeln), und in eine zwischenmenschliche Komponente, die sozio-emotional verankert ist ([…] Faktoren wie Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, persönliche Wertschätzung und Anerkennung etc.). Gerade diese intangiblen, immateriellen Faktoren entscheiden […] darüber, wie der Kunde, d.h. der Gast die Dienstleistung erlebt, und bestimmen damit die wahrgenomme Qualität und folglich den Zufriedenheitsgrad des Gastes. Im Gegensatz zu den kognitiven Elementen unterliegen die sozio-emotionalen Elemente den Gesetzmäßigkeiten der Psychologie  und verändern sich bei physischer oder psychischer Anspannung oder Belastung. Das bedeutet konkret Folgendes: Wird der Dienstleistende durch bestimmte Einflüsse seines Umfelds (wie beispielsweise intraorganisationale Konflikte) emotional belastet (Frustration, Aggression etc.), so wirkt sich diese negative Grundstimmung auch auf den Interaktionsprozess mit dem Gast aus; die elementaren Faktoren wie Aufmerksamkeit, Freundlichkeit etc., die für den Gast einen essentiell wichtigen Bestandteil der Dienstleistung darstellen, leiden, es entstehen Diskrepanzen zwischen erwarteter und erlebter Qualität der Leistung, und der Gast ist nicht zufrieden.“ (Stammen 2000, S. 15 f.)

Der Hospitality-Management-Experte Edgar E. Schaetzing geht ebenfalls auf das Thema Gästezufriedenheit ein: „Wer im Zusammenhang mit Hotellerie und Gastronomie von ‚Kunden‘ spricht, meint vielleicht den Geldtransfer eines anonymen Menschen, der zur Nahrungsaufnahme ein Restaurant besucht. Das Gast- und nicht das ‚Kundengewerbe‘ will mit ‚Gastfreundschaft‘ (Hospitality), Aufmerksamkeit und Zuwendung jedem Gast ein für ihn erfreuliches Erlebnis schaffen. Kunden kann man zufrieden stellen, Gäste aber begeistern! Der Unterschied dabei zwischen erfolgreichen Gastronomen und mittelmäßigen Gastronomen liegt in der Leidenschaft für kleine Details.“ (Schaetzing 2013, S. 155) Davon ausgehend beschreibt Schaetzing häufige Qualitätsmängel aus Gästesicht, die sich unter anderem in folgenden Merkmalen äußern: Hotelmitarbeiter „können sich nicht in die Lage des Gastes versetzen; sehen Servicequalität nicht aus der Sicht des Gastes; sind nicht empathisch veranlagt, können keine Gästewünsche voraussehen; zeigen kein Verständnis und Geduld; steigern nicht das Selbstwertgefühl des Gastes“, und es „ist ihnen egal, ob Gäste wiederkommen […]“. (Schaetzing 2013, S. 159) Die Eigenschaften, über die Tom verfügt, wirken solchen Mängeln entgegen und lassen sie gar nicht erst entstehen.

Schaetzing thematisiert auch den Umgang mit Auszubildenden: „Bevor man einem Mitarbeiter klare Instruktionen geben kann, muss er vorbereitet sein. Frei von Sorgen, ohne Angst und Zweifel, völlig ruhig und in angenehmer Atmosphäre sollte er die Arbeitsanweisungen erwarten.“ (Schaetzing 2013, S. 630) Die Ankündigung, „bluten“ zu sollen, stellt wohl exakt das Gegenteil dieser Forderung dar. Zu den größten Managementfehlern im Gastgewerbe zählt Schaetzing insofern unter anderem das Fehlen von Empowerment und Motivation sowie die Vernachlässigung von Kreativität: „Die ‚inneren Bedrohungen‘ eines Betriebes setzen unübersehbare Zeichen: innerlich gekündigte Mitarbeiter, gesunkenes Verantwortungsbewusstsein, geringes Engagement, fehlende Initiative, mehr Frustration als Motivation, mangelhafte Identifikation mit den betrieblichen Zielen, Arbeit-‚nehmer‘ und nicht Mit-‚denker‘ werden gefördert.“ (Schaetzing 2013, S. 666) „Innovationen und neue Dienstleistungsideen können sich nicht in einem experimentierfeindlichen Klima entwickeln. Die Kreativität wird gehemmt durch: falsche Mitarbeiterauswahl, Überheblichkeit und satte Zufriedenheit, schlechte Organisation, Stress und Arbeitsüberlastung, Misserfolge und fehlende Anreize.“ (Schaetzing 2013, S. 670)

Fragwürdiges Ansinnen

Es stellt sich also die – aus meiner Sicht rhetorische – Frage, wie sinnvoll es für ein Hotel der Luxusklasse ist, wenn es einem Auszubildenden, der motiviert, talentiert, lernwillig und fleißig ist (und darüber hinaus auch noch drei Sprachen spricht), gezielt die Begeisterung für seine Tätigkeit nehmen will – und das auch noch, obwohl dieser Auszubildende für seine freundliche und zuvorkommende Art, die Ausdruck seiner Freude am Beruf sind, mehrfach ausdrückliches Lob von Gästen gegenüber seinen Vorgesetzten erhalten hat. Was sind die Ursachen für derartige Anwandlungen? Neid? Unfähigkeit? Eine unselige Mischung daraus?

Diese Frage ist umso prekärer angesichts des Fachkräftemangels in der Hotellerie und Gastronomie: „Jeder dritte Gastronomiebetrieb findet Umfragen zufolge nur schwer Mitarbeiter. Bei den Hotels mit Restaurantbetrieb sind es sogar knapp 40 Prozent. Die Ausbildungszahlen sind auf den tiefsten Stand seit 1976 gefallen. Koch und Restaurantfachmann befinden sich mittlerweile auf Platz vier und sechs der unbeliebtesten Ausbildungsberufe in diesem Land. Und fast jeder zweite Azubi bricht auch noch ab, mehr als in jedem anderen Ausbildungsberuf“, schrieb Zeit online am 18. Juli 2018, und die Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung titelte am 19. Juni 2018: „Deutsche Gastgeber sehen Fachkräftemangel als dringlichstes Thema. Die Suche nach qualifiziertem Personal hat für Hoteliers und Gastronomen hierzulande derzeit höchste Priorität.“ Wenn sogenannte Flaggschiffe der Branche vielversprechende Nachwuchskräfte systematisch vergraulen, wird dieses Problem nicht zu lösen sein; es wird sich eher noch weiter verschärfen.

 


Literatur

Schaetzing, Edgar E.:
Management in Hotellerie und Gastronomie; 10. Auflage;
Matthaes Verlag, Stuttgart 2013

Stammen, Carsten M.:
„Schwarz gegen Weiß“ – Intraorganisationale Konflikte in der Hotellerie und Gastronomie;
Diplom.de, Hamburg 2000