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Diese Geschichte spielt in Prag, wo ich weilte, um über eine Konferenz – und zwar jedes Jahr eine meiner liebsten – zu berichten, im Auftrag des Veranstalters. Logieren durfte ich im Corinthia Hotel, und an den zwei Abenden, die ich dort war, speiste ich im Restaurant „The Grill“, dessen Schwerpunkt – dem Namen zumindest teilweise entsprechend – auf Grillgerichten und Pizza liegt. Es zeigte sich, dass es sich durchaus lohnt, ein Restaurant zweimal zu besuchen, um zu verstehen, wie es funktioniert.

Am ersten Abend kam ich gegen 21 Uhr, also verhältnismäßig spät und mitten in den größten Trubel; das Serviceteam war mächtig am Schwimmen. Ich bekam zwar sofort einen Tisch und konnte nach kurzem Blick in die Karte bestellen, doch der Brotteller blieb nur Makulatur, und sofern ich fürderhin einen Wunsch hatte, musste ich mich deutlich bemerkbar machen. Der Stress war den Jungs und Mädels anzumerken – aber ich verstand das angesichts eigener jahrelanger Erfahrung und grämte mich nicht (na gut: nicht übermäßig). Der Spargelrisotto, den ich mir ausgesucht hatte, war sehr ordentlich, und dazu hatte ich eine tschechische Cuvée aus Grünem Veltliner und Sauvignon Blanc bestellt, die glasweise ausgeschenkt und explizit zum Spargel empfohlen wurde. Allerdings hatte der Wein eher wenig Substanz und wirkte insgesamt etwas grün; die Rebsorten waren hier erkennbar eine Zwangsehe eingegangen und hatten nicht so recht zueinander gefunden – und zum Spargel wollte diese Empfehlung eigentlich so gar nicht passen. Dennoch: Eine gewisse Süffigkeit kann ich dem Wein im Nachhinein nicht absprechen, denn angesichts der großzügigen Portion meines Essens orderte ich noch ein zweites Glas. Danach gönnte ich mir noch ein Stück Medovník, den traditionsreichen tschechischen Honig-Karamell-Kuchen.

Alles in allem blieb diese Restauranterfahrung einigermaßen enttäuschend, doch am folgenden Abend entschloss ich mich, dem „The Grill“ eine zweite Chance zu geben. Und das war gut so.

Diesmal erschien ich um 19 Uhr, und insgesamt war an diesem Abend deutlich weniger los. So wählte ich frohen Mutes drei Gänge (Spargelcremesuppe, gegrillten Lachs mit Safranreis und Zucchini, Crème brûlée mit Rum) und dazu eine Flasche 2011er Chardonnay Viognier von Laurent Miquel aus dem Languedoc. Erwartungsgemäß erwies sich dieser Wein als exzellenter Botschafter der IGP Pays d‘Oc und erfreute mich auch über das Menü hinaus – denn obwohl das Restaurant nur spärlich frequentiert war, war mein Suppenteller kaum abgeräumt (Kellner 1), als schon der Fisch serviert wurde (Kellner 2); dazwischen lagen wahrhaftig keine zehn Sekunden. Hier sind Küche und Service gewohnt, mehrere Besetzungen pro Abend „durchzuziehen“ (das muss man so drastisch sagen): Geschwindigkeit zählt, denn Zeit oder auch Genusssinn hat der übliche Gast nicht, ob er privat oder geschäftlich unterwegs ist. Die Gäste kommen überwiegend aus dem Ausland (die Speisen- und die Getränkekarte sind erst in Englisch und darunter in Tschechisch gedruckt), oft in Gruppen, und Einzelgäste telefonieren sogar während (!) des Essens. Ich saß an meinem Tisch entspannt rund drei Stunden, aber die übliche Verweildauer liegt wohl bei höchstens einer Stunde; auch eine größere französische Reisegruppe kam nach mir und ging vor mir wieder.

Es ist jedoch schön zu erleben, wie Servicekräfte, die ihren Beruf irgendwann mal gelernt haben und (noch) sensibel genug sind, sich durch ein bestimmtes Auftreten „entschleunigen“ lassen. Wenn man als Gast allein durch sein Verhalten demonstriert, dass man nicht in Eile ist und Wert auf Genuss legt, bricht mitunter die Schule wieder durch: Wein wird nachgeschenkt, Blickkontakt wird aufgenommen, Wünsche werden häufiger erfragt. Zumindest zwei Chefs de rang konnte ich so für mein Tempo und meinen Serviceanspruch einnehmen, den Oberkellner allerdings nicht (alle drei waren übrigens erheblich jünger als ich).

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Hotelrestaurants system- bzw. konzeptbedingt ihre Schwächen haben, aber dennoch mindestens eine akzeptable gastronomische Qualität bieten, die sich durch ein bestimmtes Gastverhalten sogar manchmal merklich steigern lässt. Und vielleicht die Frage, weshalb ich an meinem zweiten Abend einen französischen und keinen tschechischen Wein bestellt habe. Das lag hauptsächlich an der Auswahl: Die Weinkarte bot deutlich mehr Franzosen und Italiener als Tschechen und dazu einen überseeischen Gemischtwarenladen, aber keinerlei Deutsche oder Österreicher; und offen gab es davon kaum eine Handvoll Weine. Doch mit dem geschliffenen, zart würzigen und fruchtbetonten Gewächs aus dem Hause Laurent Miquel war ich sehr zufrieden. Na zdraví!