„Rettet Europa!“ war das Motto einer privaten Weinprobe mit Freunden, zu der jeder aus einem ihm zugewiesenen Land einen Wein mitzubringen hatte. „Gerade jetzt, wenn die ‚eiserne Angie‘ in allen europäischen Krisenstaaten mehr denn je gefürchtet wird, sollten wir diesen Länder zumindest durch den Verzehr ihrer Weine ein wenig unter die Arme greifen“, hieß es in der Einladung. Dementsprechend gehörten die ausgewählten Länder zu denen, in denen das Verhältnis zwischen Staatsverschuldung und Bruttoinlandsprodukt, wie wir erfuhren, besonders prekär ist: Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Zypern.
Es ging insofern um „vergessene Weine“: Weine aus weniger beachteten, wirtschaftlich angeschlagenen Herkunftsgebieten Europas (bei Italien und Spanien waren vornehmlich die Inseln gefragt) und oft aus autochthonen, seltenen Rebsorten. Da alle vorgegebenen Regionen in Südeuropa liegen, ging jeder der Gäste davon aus, dass der Abend wohl ziemlich rotweinlastig werden würde, und besorgte – sicherheitshalber, als Gegengewicht – einen Weißwein. So hatten wir zur Überraschung aller fast ausschließlich Weißweine; den einzigen Rotwein hatten die Gastgeber mitgebracht. Doch da die meisten bekannten, ohnehin lieber Weißwein zu trinken, war das sogar einigermaßen willkommen.
Folgende Weine verkosteten wir in der angegebenen Reihenfolge:
2012 Terro do Minho, Quinta da Lixa, Vinho Verde, Portugal
- Rebsorten: Trajadura, Arinto, Loureiro
- Sensorik: Zitrus, etwas dropsig, pflanzlich, floral, schlank, sehr unkompliziert
2010 Petritis, Kyperounda, Zypern
- Rebsorte: Xinisteri
- Sensorik: Gummi, herb-vegetabil, Zitrus, pflanzlich, Rhabarber, Kernobst, geradlinig, frisch, zarte Würze, floral
2011 Lighea, Donnafugata, Sizilien, Italien
- Rebsorte: Zibibbo
- Sensorik: Muskat, weiße und gelbe Früchte, pflanzlich, Zitrus, Cassis, erdig, geradlinig, etwas Brombeergelee, floral
2012 Quíbia, Falanis (Ànima Negra), Mallorca, Spanien
- Rebsorten: Prensal Blanc, Callet
- Sensorik: pflanzlich, Kernobst, Zitrus, etwas floral, herb, vegetabil, erdig, gewürzig, etwas Kraft, gewisse Nachhaltigkeit, floral, leicht salzig
2012 Blanc de Blancs, Macià Batle, Mallorca, Spanien
- Rebsorten: Prensal Blanc, Chardonnay, Moscatel
- Sensorik: floral, etwas artifiziell, pflanzlich, weiche gelbe Frucht, geradlinig, erdig-mineralisch, zarte Würze, etwas nachhaltig
2010 Chardonnay, Kyperounda, Zypern
- Rebsorte: Chardonnay
- Sensorik: etwas reduktiv, Gummi, zarte Holzwürze, gelbe Früchte, pflanzlich, leicht nussig, floral, etwas salzig, geradlinig, im besten Sinne süffig, wird mit Luft straffer
2011 Weißburgunder Spätlese Selection Barrique trocken, WG Staufen, Baden, Deutschland
- Rebsorte: Weißburgunder
- Sensorik: floral, Kernobst, Melone, zarte Holzwürze, etwas Pfeffer, nussig, herb, Vanille, vegetabil, Gewürze, Karamell, noch sehr jung
2010 Rosé, Kyperounda, Zypern
- Rebsorten: Grenache Blanc, Syrah
- Sensorik: Kirsche, Himbeere, pflanzlich, leicht pilzig, Kernobst, unkompliziert, verpackt den hohen Alkohol (14 vol-%) gut, etwas Pfeffer, deutlich Walnüsse
2009 Axia, Alpha Estate, Amynteon, Griechenland
- Rebsorten: Syrah, Xinomavro
- Sensorik: ein wenig entwickelt, Gewürze (Kümmel), dunkle Beeren (Cassis, Brombeere), Pflaumen, Unterholz, getrocknete Kräuter, leicht speckiges Holz, herb-säuerliche Frucht, Sauerkirsche, getrocknet-pflanzlich, Tabak, etwas trocknendes Tannin, recht geschliffen, gewisse Nachhaltigkeit
Der badische Weißburgunder nahm außerhalb der Themenstellung an der Verkostung teil, ebenso wie noch einige andere Weine, darunter die 2011 Würzburger Stein-Harfe Riesling Trockenbeerenauslese vom Bürgerspital (Franken, Deutschland).
Bemerkenswert war an diesem Degustationsabend – der in diesem Freundeskreis mehrfach im Jahr unter denselben, oben beschriebenen Voraussetzungen stattfindet –, dass es keinen so genannten JLF-Wein gab. Diese Bezeichnung stammt von Andreas März, Chefredakteur der Zeitschrift Merum, und steht für „Je leerer die Flasche“, getreu dem empirisch erwiesenen Grundsatz, dass die Flasche des Weins, der allen am besten schmeckt, am schnellsten leer ist: Je leerer also die Flasche, desto besser (oder auch gefälliger) der Wein. Diesmal jedoch gab es keine Flasche, die auffällig viel von ihrem Inhalt verloren hatte; in jeder war noch mindestens ein Drittel verblieben, in manchen sogar deutlich mehr als die Hälfte. Die Weine waren alle gut trinkbar, aber keiner hatte wirklich zu Begeisterungsstürmen Anlass gegeben. Indes: Großen Anklang fanden allgemein zumindest die beiden mallorquinischen Weine und auch der zypriotische Rosé.
Am Ende des Abends machten wir uns noch einen – allerdings zweifelhaften – Spaß daraus, einige wirklich vergessene Weine zu öffnen. Dabei handelte es sich um Flaschen, die der Arbeitgeber eines der Gäste im Laufe mehrerer Jahre geschenkt bekommen hatte und die dann eine um ein Vielfaches zu lange Zeit (teilweise über zehn Jahre) unter völlig unangemessenen Umständen gelagert worden waren. Wir ahnten, dass mindestens die meisten Weine davon nicht mehr genießbar wären, dennoch probierten wir alle, und auch das war eine denkwürdige Erfahrung – wenngleich im negativen Sinne:
1999 Klosterhof Riesling halbtrocken, WG Dürrenzimmern-Stockheim, Württemberg
- Verkostungsnotiz: tot und ungenießbar, keine Beschreibung mehr möglich
2000 Würzburger Stein Riesling Kabinett trocken, Bürgerspital, Franken
- Verkostungsnotiz: tot und ungenießbar, keine Beschreibung mehr möglich
1999 Klosterhof Lemberger halbtrocken,
WG Dürrenzimmern-Stockheim, Württemberg
- Verkostungsnotiz: Unterholz, sehr gedeckt, überlagerte Nüsse, welk-pflanzlich, Laub, vegetabil, leicht süßlich, eingemachte rote Früchte, Gewürze, Kräuter
2001 Udenheimer Sonnenberg Grauburgunder trocken,
D. Darmstadt, Rheinhessen
- Verkostungsnotiz: erinnert zuerst an Walnusslikör, zerfällt dann sehr schnell; nach 10 Sekunden phenolisch; nach weiteren 10 Sekunden krautig; danach tot
2000 Mainzer Domherr Portugieser Weißherbst trocken, D. Darmstadt, Rheinhessen
- Verkostungsnotiz: tot und ungenießbar, keine Beschreibung mehr möglich
1999 Côtes de Provence Cru Classé, Domaine du Jas d‘Esclans, Provence
- Verkostungsnotiz: pflanzlich, säuerlich, nussig, oxidativ, zart floral, herb, etwas rau, verblasst