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Durch einen Kollegen stieß ich auf ein Video, das auf der Internetseite des Stern zu sehen ist. Es trägt den Titel „Tuning für den Wein: So verbessern Sie müde Tropfen“, und im kurzen Einführungstext heißt es: „Ihrem Weißwein fehlt es an fruchtigen Noten? Der Rote hat zu wenig Pepp? Mit diesen einfachen Tricks schmeckt jeder langweilige Wein gleich viel interessanter.“ Das bedarf einer Gegenrede, denn bereits allein der Ansatz ist haarsträubend.

Was im Video passiert

Das Video aus der Stern-Themenreihe „Life Hacks“ dauert etwas mehr als zwei Minuten. Protagonistin ist Cordula Eich, Autorin des Supermarkt- und Discounter-Weinführers „Super Schoppen Shopper“, die im Abspann auch als Redakteurin angegeben wird. Sie erklärt, den Zuschauer direkt ansprechend, „wie Sie mit ganz einfachen Mitteln einen einfachen, eindimensionalen Wein um Klassen aufpimpen können“. Der Ausgangspunkt: „Wenn Leute über Wein sprechen, hören wir Sachen wie ‚Aromen von Limette, von Ananas, von grünen Äpfeln‘. Wenn Sie solche subtilen Aromen in Ihrem Wein finden wollen, müssen Sie tief in die Tasche greifen. Komplexe Weine sind niemals billig.“ Und dann die Schlussfolgerung: „Wenn wir also die [aufgezählten Aromen] nicht in der Traube gefunden haben – warum fügen wir sie nicht einfach im Original dem Wein hinzu?“

Daraufhin füllt Frau Eich Ananas- und Apfelstücke sowie Limettensaft in eine Karaffe, gibt anschließend den Inhalt einer Flasche Weißwein dazu und fährt fort: „Das Ganze schütteln wir jetzt einfach mal fünf Minuten, damit sich die Aromen schön verteilen. Und weil wir keine Bowle machen, sondern Wein pimpen, lassen wir die Früchte in der Karaffe zurück.“ Während sie das sagt, gießt sie die Flüssigkeit durch ein Sieb ab und gibt dazu noch den Tipp: „Die Früchte eignen sich übrigens ganz hervorragend für ein Sorbet zum Dessert.“

Damit nicht genug, denn: „Auch Rotweine kann man mit ganz einfachen Mitteln veredeln.“ Frau Eich führt nacheinander drei Beispiele vor; erstens: „Ist der billige Rotwein wegen unreifer Tannine zum Beispiel zu bitter, helfen ein paar Tropfen Sojasauce.“ Zweitens: „Fehlt es dem Wein an Frucht, geben wir ein bisschen Portwein dazu; Johannisbeersaft tut‘s natürlich auch.“ Drittens: „Ist der Wein müde und lasch und braucht ein bisschen mehr Leben, nehmen wir einen säurehaltigen Weißwein – und schon hat der Rote mehr Pepp.“ Und dann folgt der ultimative Ratschlag: „All‘ diese Elemente kann man natürlich auch in ein Glas zusammenfügen. Damit zaubern Sie den total komplexen Wein.“

Das Video endet damit, dass Frau Eich dem Zuschauer lächelnd zuprostet.

Was ich davon halte

Beim ersten Anschauen war ich – und auch jeder, dem ich es bisher gezeigt habe – fassungslos, dann habe ich gelacht. Denn, bitte, das kann man nicht erst nehmen. Und wohl auch kaum ernst meinen.

Es geht mir überhaupt nicht darum, ob das, was Cordula Eich dort empfiehlt und vorführt, funktioniert oder nicht. Sojasauce mag die Textur eines Rotweins verändern, säurebetonter Weißwein wird einen Wein (egal, ob rot oder weiß) etwas frischer erscheinen lassen, und ob Portwein oder Johannisbeersaft einem Rotwein mehr Frucht verleihen oder ihn einfach nur etwas süßlicher und vielleicht auch gehaltvoller wirken lassen, sei dahingestellt. Dass Früchte, die in Wein mazeriert werden, ihre Aromen an diesen abgeben, ist eine Tatsache, die – wie Frau Eich ja auch selbst erwähnt – die Grundlage jeder Bowle darstellt; über die Identität und das Mischungsverhältnis der Früchte will ich mich hier ebenfalls nicht auslassen.

Es ist auch nicht so, dass das Video schlecht gemacht wäre. Es ist dynamisch, hell und freundlich gestaltet, und Frau Eich wird als sympathische, pfiffige Ratgeberin in Szene gesetzt.

Aber es ist die Idee hinter diesen Empfehlungen, die mich aufreibt, der Grund dafür, dass Wein überhaupt „gepimpt“ werden soll. Was ist denn die Botschaft des Videos? „Leute, kauft billigen Wein, und den könnt ihr dann (mit einfachen Mitteln, wie ja mehrfach betont wird) selbst aufwerten!“ Auch wenn – nein: gerade weil in Deutschland rund drei Viertel aller Weine in Discount- und Supermärkten abgesetzt werden, muss man die Konsumenten nicht noch ermutigen, diese (in den allermeisten Fällen) industriell gefertigten Produkte zu kaufen. Denn – und das ist das besonders Bemerkenswerte – die minderwertige Qualität solcher Weine wird ja im Video nicht nur thematisiert, sondern ist sogar der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Inhalts: Weine, die „billig“ (!), „eindimensional“, „langweilig“ oder „müde“ sind, sollen aromatisch verbessert werden.

Also soll ich als Verbraucher wenig Geld für Wein ausgeben, dann aber bei Bedarf zu Hause mit frischen Früchten, Würzmitteln oder anderen Alkoholika dem Geschmack nachhelfen, wenn dieser – welch Wunder bei Massenware – zu wünschen übrig lässt? Das ist nicht nur naiv, sondern auch – genau entgegengesetzt der Argumentation – unwirtschaftlich. Denn ich weiß nicht, ob Supermarkt- und Discounter-Weinkunden unbedingt Sojasauce oder gar Portwein im Hause haben. Sollen sie sich das (oder auch Johannisbeersaft) extra anschaffen, um ihren Billigwein „aufzupimpen“? Und frisches Obst kostet auch Geld. Auch wenn man es – wie vorgeschlagen – nach der „Behandlung“ des Weins für ein Sorbet verwenden kann (wobei nichts dazu gesagt wird, wie das geht), ist doch die Frage, ob man es nicht lieber pur oder als Obstsalat verzehrt – jedenfalls ohne dass bestimmte Fruchtaromen herausgezogen worden sind (und es stattdessen im Umkehrschluss unweigerlich nach Wein schmeckt).

Was hier empfohlen und gezeigt wird, ist meiner Ansicht nach nicht „pimpen“ oder „veredeln“, sondern „panschen“. Das sind eine weiße Vorstufe zur Bowle und eine rote (kalte) Vorstufe zum Glühwein oder zur Feuerzangenbowle. Diese Getränke zeichnen sich jedoch immer und zwingend durch einen Umstand aus: Sie sind immer nur so gut wie ihre Grundzutaten. Das heißt: Ich werde mit einem minderwertigen Wein weder eine gute Bowle noch einen guten Glühwein noch übrigens eine gute Sauce herstellen können. Dass man einen schlechten oder überlagerten Wein „doch noch zum Kochen nehmen“ könne, ist eine Mär. Ein qualitativ schwaches Ausgangsprodukt wird nie ein hochwertiges Ergebnis erzielen; das gilt auch für Wein, ob zum Trinken oder zum Kochen – womit ich den Ansatz von Cordula Eich im Video dann doch grundsätzlich hinterfrage. Was kommt bei der „Pimperei“ schließlich heraus? Etwas, das vielleicht gerade so trinkbar ist und geschmacklich irgendwie ein wenig mehr Ausdruck hat als vorher. Aber gut ist es deshalb noch lange nicht.

Was ich empfehle

Deshalb habe ich meinerseits eine andere Empfehlung für die Zuschauer des Videos: Leute, investiert das Geld, das ihr beim Kauf von Billigwein spart und dann aber für „Hilfsmittel“ ausgebt, lieber gleich in den Wein; kauft einfach von Vornherein besseren Wein!

„Komplexe Weine sind niemals billig“, sagt Cordula Eich, und damit hat sie vollkommen recht. Ob ein Wein aber schon mit drei mehr oder weniger plakativen Aromen (Apfel, Ananas, Limette) als komplex gilt, ließe sich diskutieren. Apfel- und Zitrusaromen finde ich übrigens in fast jedem Riesling, egal, welcher Qualität und Preisklasse. Wenn ich diese Aromen haben möchte, kaufe ich Riesling – und nicht einen günstigen, ausdruckslosen Weißburgunder oder Müller-Thurgau, dem ich dann Apfelstücke und Limettensaft zusetze.

Ein komplexer Wein zeichnet sich für mich durch eine große aromatische Vielfalt und Vielschichtigkeit aus: also erstens zahlreiche Aromen, die zweitens miteinander verknüpft sind und nicht nur nebeneinander stehen. Dass man einen solchen „total komplexen“ Wein „zaubern“ kann, indem man einem ausdrucksarmen Rotwein Sojasauce, Portwein und/oder Johannisbeersaft sowie etwas säurebetonten Weißwein zufügt, halte ich für ausgesprochen fraglich. Dafür gibt es Fachleute: Sie heißen Winzer oder Önologen und entscheiden durch ihre Arbeit im Weinberg und im Keller über die Komplexität eines Weins. Und diesen Fachleuten sollten wir die Rolle des Wein-Komponierens auch überlassen. Wer einen komplexeren, qualitativ höherwertigen Wein haben möchte, der möge sich beraten lassen und ihn dann kaufen; das geht auch schon für deutlich unter zehn Euro.

Also, Leute: Gebt halt nicht zwei oder drei Euro im Discount- oder Supermarkt, sondern fünf, sechs oder vielleicht sogar acht Euro für euren Wein aus, zum Beispiel bei einem Internet-Fachhandel. Dort sind die Weine auch ausführlicher beschrieben als im Lebensmittelhandel, so dass ihr euch sofort ein besseres Bild vom Geschmack und von der Qualität machen könnt. Selbst probieren könnt ihr in beiden Fällen nicht, aber ein guter Online-Weinhandel wird nachvollziehbare sensorische Beurteilungen seiner Produkte bieten. Und diese Weine werden tendenziell qualitativ besser sein als im Supermarktregal.

Und wenn doch einmal ein Wein nicht schmeckt oder zu fad ist, gibt es für mich nur zwei Alternativen: entweder verschorlen (also mit Mineralwasser verdünnen) oder wegschütten. Jedenfalls nicht noch irgendwelchen Aufwand betreiben, um ihn aromatisch zu „retten“. Im Zweifelsfall hat er dafür nämlich gar nicht die Substanz, und was dann dabei herauskommt, ist nicht besser oder komplexer, sondern bloß Murks.

Ach, übrigens: Cordula Eich scheint mit gewissen Gegenstimmen zu Ihrem Ansatz schon gerechnet zu haben – denn sie kommentiert das Video auf ihrer eigenen Internetseite durchaus selbstironisch...