Nein, hier geht es nicht um Biologie, hier geht es um Grammatik. Biologisch ist unsere europäische Edelweinrebe (Vitis vinifera sativa) ein Zwitter, d.h. die Pflanze bildet sowohl männliche als auch weibliche Blüten aus. Doch die Botanik soll uns nicht interessieren; vielmehr will ich untersuchen, welches grammatische Geschlecht (Genus) die Rebe bzw. ihre Ausprägungen, die Rebsorten, in den Sprachen der wichtigsten europäischen Weinbauländer haben. Ein solcher Ansatz mag verrückt genug erscheinen, um seinen Sinn zu hinterfragen (wozu muss man das wissen?), doch das Ergebnis ist durchaus aufschlussreich.
Grundsätzlich lassen sich zwei Behandlungsweisen unterscheiden, wie die einzelnen Sprachen mit dem Geschlecht der Rebsorten umgehen: einheitlich oder diskriminativ. Zur ersten Kategorie zählt zunächst Englisch – vornehmlich jedoch, weil es hier ohnehin nur ein einziges Genus gibt. Rebsorte heißt grape variety oder varietal, und alle Rebsorten haben dasselbe eine grammatische Geschlecht. Englisch ist im übrigen keine Sprache eines (maßgeblichen) europäischen Weinbaulandes, doch die wichtigste Sprache in der internationalen Kommunikation und außerhalb Europas auch weinbaulich relevant: Die englischsprachigen Länder Australien, Neuseeland, Südafrika und den USA sind bedeutende Weinerzeuger. Aber wenden wir uns den Sprachen europäischer Weinbaunationen zu, die mehrere Genera haben: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch.
Deutschsprachiger Raum
Der Umgang des Deutschen mit dem Genus der Rebsorten ist einigermaßen differenziert. Hier kommt es primär auf typische Endungen oder eindeutige Namensbestandteile an, um das grammatische Geschlecht zu bestimmen. Die meisten Rebsorten sind maskulin, was auf charakteristisch männliche Endungen ihrer Namen zurückzuführen ist – hauptsächlich -er und -ling. Beispiele gibt es zuhauf: der Riesling, der Elbling, der Sämling, der Silvaner, der Weiß-/Grau-/Spätburgunder, der Muskateller, der Trollinger, der Lemberger, der Portugieser, der Dornfelder, der Veltliner. In diese Kategorie fallen auch der Sankt Laurent, dessen Benennung explizit einen männlichen Vornamen beinhaltet, sowie der Regent, dessen Bezeichnung sogar eine originäre Bedeutung (der Herrscher, männlich) hat. Einige Rebsorten tragen indes den Begriff -rebe selbst im Namen, der feminin ist und sein Geschlecht an die betreffende Traubensorte weitergibt: die Scheurebe, die Müllerrebe, die Siegerrebe.
Ist kein eindeutiges Indiz für eine Geschlechtszugehörigkeit im Namen der Rebsorte zu finden, ist sie ebenfalls maskulin – und das interessanterweise, obwohl „Rebsorte“ und auch ihr Synonym, „Varietät“, als Begriffe selbst feminin sind. Beispiele: der Gutedel, der Muskat-Ottonel, der Blaufränkisch, der Zweigelt, der Vernatsch. Das gilt auch für die allermeisten Rebsorten mit fremdsprachigen Namen: der Chardonnay, der Auxerrois, der Sauvignon, der Merlot, der Cabernet, der Syrah/Shiraz, der Tempranillo, der Sangiovese; auch – analog zur deutschen Bezeichnung – der Pinot (Burgunder). Einige dieser Namen sind jedoch bereits in ihrer Herkunftssprache erkennbar maskulin, etwa der Auxerrois (nicht Auxerroise), der Sauvignon Blanc (nicht Blanche), der Cabernet Franc (nicht Franche) oder der Tempranillo (nicht Tempranilla). Dort, wo in der Herkunftssprache eine originär weibliche Endung oder Bezeichnung besteht und die Rebsorte daher ebenfalls feminin ist, wird das Genus auch im Deutschen übernommen; Beispiel: die Malvasia, die Folle Blanche. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet hingegen die französische Rebsortenbezeichnung Grenache. Die Sorte heißt im spanischen Original Garnacha und ist ebenso auf Spanisch wie auf Deutsch feminin. Grenache ist jedoch auf Französisch maskulin – und auf Deutsch auch unter diesem Namen wiederum feminin: die Grenache, obwohl ihre adjektivischen Zusatzbezeichnungen eindeutig das männliche Geschlecht erkennen lassen, so dass es kurioserweise die Grenache Noir und die Grenache Blanc heißt.
Insgesamt herrscht im Deutschen also das männliche Genus vor, nur bei eindeutig weiblichen Namensbestandteilen ist auch die Rebsorte feminin.
Frankreich
Das Französische verhält sich bei der Geschlechtsbestimmung der Rebsorten ähnlich wie das Deutsche, jedoch sogar noch vor einem logischeren Hintergrund. Der Begriff le cépage für Rebsorte selbst ist männlich, und auch die Rebsortenbezeichnungen sind größtenteils maskulin: le Cabernet Sauvignon/Franc, le Merlot, le Carignan, le Grenache Blanc/Gris/Noir (wie gesehen), le Pinot Blanc/Gris/Noir, le Sauvignon Blanc, le Chenin Blanc, le Chardonnay, le Muscat, le Colombard. Dieses Prinzip überträgt sich auch auf fremdsprachige Rebsortennamen: le Riesling, le Sylvaner, le Zinfandel. Nur dann, wenn die Rebsortenbezeichnungen aufgrund einer charakteristischen Endung eindeutig als weiblich erkennbar sind, sind sie auch grammatisch feminin; Beispiele: la Muscadelle, la Colombelle, la Folle Blanche.
Italien
Identisch ist die Behandlungsweise im Italienischen: Der Begriff für Rebsorte, il vitigno, ist maskulin, und ebenso sind es üblicherweise die Rebsortenbezeichnungen: il Sangiovese, il Verdicchio, il Pinot Bianco/Grigio/Nero, il Refosco. Auch Rebsorten mit fremdsprachigen Namen sind maskulin: il Merlot, il Syrah, il Riesling. Nur bei eindeutig weiblicher Endung ist die Rebsorte ebenfalls feminin – beispielsweise la Barbera, la Granaccia oder la Malvasia.
Spanien
Im Spanischen ist der Terminus für Rebsorte, el viñudo, zwar auch maskulin, doch die Rebsortenbezeichnungen sind ausnahmslos feminin – selbst dann, wenn ihre Endung männliches Geschlecht vermuten ließe: la Garnacha, la Cariñena, la Tinta de Toro, aber ebenso auch la Tempranillo, la Verdejo, la Moscatel oder la Pedro Ximénez (also sogar, wenn explizit ein männlicher Vorname in der Bezeichnung vorkommt). Diese Maßgabe wird konsequenterweise auch bei Rebsorten mit fremdsprachigen Namen angewandt; so heißt es auf Spanisch tatsächlich la Riesling.
Ein Schlüssel zu dieser Praxis könnte vielleicht im weiblichen Begriff für Traube, la uva, liegen, der viel gebräuchlicher ist als el viñudo, die Rebsorte.
Portugal
Auf Portugiesisch heißt Rebsorte a casta, ist also weiblich. Insofern gleicht das Portugiesische dem Deutschen, und das ist nicht einzige Parallelität: Auch hier entscheiden geschlechtstypische Endungen der Rebsortenbezeichnungen über das Genus; so heißt es beispielsweise in der maskulinen Variante o Alfrocheiro und o Alvarinho, in der femininen Variante a Tinta Roriz und a Touriga Nacional. Bei Rebsorten mit fremdsprachigen Namen greift gewissermaßen das „übergeordnete Geschlecht“, das durch a casta als weiblichen Terminus vorgegeben ist; diese Bezeichungen sind im Regelfall ebenfalls feminin: a Riesling, a Sauvignon Blanc, a Pinot Blanc/Gris/Noir (interessanterweise nicht in portugiesischer und dann weiblicher Entsprechung des Adjektivs, sondern in der französischen männlichen Originalform).
Fazit
Außer dem Englischen (das seinerseits ja, wie gezeigt, einen Sonderfall darstellt) behandelt nur das Spanische das Rebsortengeschlecht einheitlich, und zwar als Femininum. In allen anderen betrachteten Sprachen sind geschlechtstypische Endungen oder geschlechtlich eindeutige Bestandteile der Rebsortennamen für das Genus entscheidend. Sofern kein eindeutiges grammatisches Indiz für die Geschlechtszugehörigkeit besteht, sind die Rebsorten im Deutschen, Französischen und Italienischen maskulin, im Portugiesischen dagegen feminin.