Mitunter wird der Alkoholgehalt als Qualitätsmerkmal bemüht, wenn über Wein gesprochen wird. Zwar hängt der Alkoholgrad auch mit Faktoren zusammen, die für die Qualität des Weins maßgeblich sind, doch ihn allein oder auch nur primär zum Beurteilungskriterium zu machen, ist wenig professionell, zumindest aber einseitig und unangemessen. Gleichwohl ist der enthaltene Alkohol ganz zweifellos schon immer ein wesentlicher Grund für den Weinkonsum gewesen, was sich auch in der Sprache niederschlägt.
Reife Trauben liefern alkoholreiche Weine
Alkohole (jawohl: Plural) sind im chemischen Sinne Kohlenwasserstoff-Verbindungen und unterscheiden sich danach, ob sie eine oder mehrere Hydroxy-Gruppen (OH-Gruppen) enthalten. Zu den einwertigen Alkoholen (mit einer OH-Gruppe) zählt auch das Ethanol (chemische Formel: C2H5OH), der so genannte Trinkalkohol; er ist gemeint, wenn im Volksmund von Alkohol (dann pauschalisierend im Singular) die Rede ist. Ethanol ist eine flüchtige, farblose, in der Nase stechende und im Mund schärfende Flüssigkeit; sie ist leicht entzündlich und eignet sich gut als Lösungsmittel beispielsweise für Aromastoffe. Bei der Gärung wandeln Hefen den Zucker, der in den Trauben enthalten ist, in Alkohol und Kohlendioxid um. Der Zucker entsteht unter Einfluss von Sonnenlicht und Wärme, und je reifer die Trauben sind, desto mehr Zucker bilden sie aus. So wird auch das Mostgewicht an der physiologischen Reife der Trauben festgemacht. Als Mostgewicht ist der Gehalt an gelösten Stoffen im Traubenmost (darunter eben auch Zucker) definiert, und dieser ist im germanischen System der Indikator für die Qualität des aus dem Most produzierten Weins.
Rausch führt zu Hochgefühl und Enthemmung
Alkohol ist ein Rauschmittel und wurde schon vor Jahrtausenden bei rituellen Handlungen sowie später auch in der Medizin eingesetzt. „Mit dem Rausch als Therapie beschäftigten sich viele Wissenschaftler des 18. und 19. Jahrhunderts, und besonders Wein wurde als ideales Getränk betrachtet, [um] in diesen euphorischen Zustand zu gelangen [...]“, heißt es im Wein-Plus-Glossar. Martin Kössler von der K&U Weinhalle in Nürnberg äußert sich in der K&U WeinZeit 1/2012 ebenfalls zu diesem Thema: „Wein ist ein Getränk. Ein schönes Getränk. Ein berauschendes Getränk, das sich von der Droge Alkohol durch viertausend Jahre alte Menschheitskultur unterscheidet.“ Die Rauschwirkung begründet die Beliebtheit alkoholischer Getränke. Alkohol sorgt dafür, dass im Körper das „Glückshormon“ Dopamin und Endorphine ausgeschüttet werden, die den Konsumenten – siehe oben – in einen euphorischen Gemütszustand versetzen. Euphorie ist laut Wikipedia definiert als eine temporäre Hochstimmung, die „mit einem gehobenen Lebensgefühl größten Wohlbefindens, mit gesteigerter Lebensfreude und verminderten Hemmungen“ einhergeht. Die Enthemmung, also die Befreiung von Bewusstseins- und Verhaltenszwängen, ist ein wesentlicher Effekt des Alkohols, der dem Konsumenten ermöglicht, zeitweise (jedenfalls mental) der oft als belastend empfundenen Realität zu entfliehen. Alkohol führt zu einer erhöhten Emotionalität und bewirkt vielfach einen verstärkten Äußerungs- und/oder Bewegungsdrang; der Rausch ist ein Erregungs- oder auch Dämmerzustand (bis zu Depression oder Aggression), denn fortschreitender Alkoholkonsum hat Sinnesbeeinträchtigungen und Wahrnehmungseinschränkungen, unter Umständen auch Erinnerungsverlust zur Folge; das Denkvermögen und die körperliche Koordinationsfähigkeit lassen nach, der Organismus ermüdet. Dennoch ist die zunächst euphorisierende Wirkung des Alkohols der Grund dafür, dass Menschen sich ihm so gerne hingeben, mitunter gar verfallen.
Sprache zeigt Wirkung
Wie wichtig der Alkoholgehalt des Weins ist, zeigt sich zum einen darin, dass er gesetzlich vorgeschrieben auf dem Flaschenetikett angegeben sein muss, sowie zum anderen darin, dass es – und das ist das eigentliche Hauptthema dieses Beitrags – in der Umgangssprache interessante Formulierungen gibt, um ihn zu benennen.
Manchmal hört man: „Dieser Wein hat 14 Volt.“ Oder auch: „Wie viele Umdrehungen hat der Wein denn?“ Diese beiden Begriffe – „Volt“ und „Umdrehungen“ für Alkoholgrad – haben insbesondere eine Gemeinsamkeit: Sie stammen aus der Physik und haben mit Energie zu tun. „Volt“ ist einerseits die Einheit für die elektrische Spannung, andererseits aber auch sprachlich eine verkürzte Form von „Volumenprozent“ (Vol...t), der Maßeinheit des Alkoholgehalts selbst. „Umdrehungen“ spielt auf die Drehzahl als mechanische Größe an, die bei der Motorleistung von Kraftfahrzeugen eine Rolle spielt und in „Umdrehungen pro Minute“ gemessen wird. Gleichzeitig verweist der Rotationsbegriff auf die berauschende Wirkung des Alkohols, wenn der Gleichgewichtssinn beeinträchtigt ist und sich ein Schwindelgefühl einstellt („Das Zimmer dreht sich!“). Die Analogie zum Kraftfahrzeug-Verbrennungsmotor spiegelt außerdem die physikalischen Eigenschaften des Alkohols wider, der als leicht entzündliche Flüssigkeit ein exzellenter Energielieferant und vielfältig geeigneter Brenn- bzw. Treibstoff ist. Energielieferant ist er sogar im doppelten Sinne, denn auch der ernährungsbezogene Brennwert, also der Kalorienwert, ist erheblich. Die Energie-Metaphorik gipfelt schließlich in Bezeichnungen wie „Der Wein ist eine Alkoholbombe“ oder „Der Wein knallt“, die ebenfalls auf die leichte Entzündlichkeit (hier zur Explosivität gesteigert) des Alkohols hinweisen.
In der professionellen Weinsprache freilich wird ein hoher Alkoholwert anders umschrieben: Hier ist der Wein „kraftvoll“ oder „gehaltvoll“, und wenn der Alkohol deutlich wahrnehmbar ist, beschreiben wir den Eindruck als „wärmend“ oder „schärfend“, bei unangenehmer und vordergründiger Erscheinung auch als „schnapsig“.
Beim Alkohol gilt: weniger ist mehr
Wein jedoch nur auf seinen Alkoholgehalt zu reduzieren und damit als bloßes „Wirkungsgetränk“ (Martin Kössler) zu betrachten, wird diesem differenzierten Produkt nicht gerecht. Guter Wein bedeutet Kultur, Geselligkeit und Genuss – um sich schnell zu berauschen, bieten sich andere (billigere und anspruchslosere) Alkoholika an. Master-Sommelier Hendrik Thoma spricht in einer Kolumne im Feinschmecker vom Februar 2012 die Balance an, auf die es bei alkoholreichen Weinen ankommt. Der Schlüssel zu einem trotz hohen Alkoholwerts harmonischen Geschmackseindruck liegt im Extrakt und in der Säure. Dabei hängt die Substanz eines Weins – die er gewissermaßen dem Alkohol entgegenstellt – neben der Rebsorte und dem Terroir (den Boden- und Klimaverhältnissen der Lage) insbesondere von der Ertragsreduzierung ab; hinzu kommen noch andere Faktoren wie das Alter und die Wurzeltiefe der Rebstöcke, die Maischestandzeit oder das Hefelager. Für die Säureentwicklung müssen die Temperaturen niedrig sein, was zum einen in höheren Lagen und zum anderen bei kontinentalem Klima zu Nachtzeiten der Fall ist.
Weine mit weniger Alkohol sind oftmals die feineren; sie bieten mehr Genuss – und längeren dazu, weil sie nicht so schnell besoffen machen!