Anlässlich der VieVinum fuhr ich Anfang Juni nach Wien und verlängerte meinen Aufenthalt nach den drei Messetagen noch um fast eine weitere Woche. Obwohl diese Tage offiziell Urlaub waren, probierte ich auch hier viele – vorzugsweise gereifte – Weine, besuchte Weingüter und gewann neue vinophile Kontakte.
VieVinum – eine intensive Erfahrung
„14.500 Besucher aus über 40 Nationen, 500 Aussteller aus Österreich und der ganzen Welt: Vom 2. bis 4. Juni 2012 war die Wiener Hofburg wieder Schmelztiegel der österreichischen Weinszene. Ein prachtvolles Ambiente, um mehr als 2.500 Weine zu degustieren und [zu] diskutieren oder bei hochkarätig besetzten Rahmenveranstaltungen das bestehende Weinwissen zu vertiefen.“ So beginnt die Abschluss-Pressemitteilung zum „Internationalen Weinfestival“ VieVinum, das alle zwei Jahre in Wien stattfindet. Das Kongresszentrum der Hofburg bot einen wahrlich prunkvollen Rahmen für die Weinpräsentation – überhaupt kein Vergleich zu irgendwelchen Messe- oder sonstigen Veranstaltungshallen.
Es war – was angesichts meiner Wein- und Wien-Affinität verwundern mag – meine erste VieVinum, und sie war gleichzeitig die intensivste Weinmesse, die ich bis dato besucht habe: Ich habe noch nirgendwo so viel verkostet und ähnlich gute Begegnungen gehabt wie hier. Eine Auflistung auch nur meiner Favoriten bei allen Weingütern, deren Stände ich besuchte, würde den Rahmen dieses Blog-Beitrags bei weitem sprengen und verbietet sich daher. Ich werde daher nur auf einige Highlights eingehen, die einen kleinen Eindruck von meinen Erlebnissen vermitteln mögen:
Ich begann meine Verkostung am Morgen des ersten Messetages mit Erwin Tinhofs 2011er Weißburgunder (eine gute Einstimmung) und beschloss sie am Nachmittag des dritten Tages würdig mit dem 2011er Gemischten Satz Five Points von Richard Zahel, in dem über 20 Rebsorten der fünf besten Lagen von Wien verarbeitet sind; der Wein wird spontan vergoren und reift sechs Monate auf der Feinhefe – ein außerordentlich komplexer und finessenreicher Tropfen, von dem eine Flasche 150 Euro kostet.
Insgesamt probierte ich Weine von 36 Winzern aus sämtlichen Anbaugebieten Österreichs, und einige davon haben mich ganz besonders beeindruckt – allen voran das Weingut Nikolaihof Wachau: Familie Saahs lässt einige ihrer Weißweine mehrere Jahre im großen Holzfass reifen und präsentierte auf der VieVinum unter anderem Riesling von 1998 (13 Jahre Fasslagerung) und 1995 (17 Jahre), Neuburger von 1990, Gemischten Satz von 1988 und Grünen Veltliner von 1983. An diesen ganz außerordentlichen Preziosen fand auch der geschätzte niederländische Kollege Albert de Jong Gefallen, den ich am Stand traf.
Gereifte Weine hatten auch Erwin Tinhof und sein Neffe Lukas Plöckinger mitgebracht: Fuchsenriegl 1999 (je 50% Neuburger und Weißburgunder) und 1992 (80% Neuburger, 20% Weißburgunder) sowie eine Trockenbeerenauslese aus Weißburgunder und Welschriesling von 1995. Die Qualität kommentierte Erwin wieder einmal mit einem seiner prägnanten Aussprüche, mit dem er auf den Leitha-Muschelkalk verwies: „Wenn du den richtigen Boden hast, kannst du machen, was du willst.“
Auch das steirische Weingut Tement bot Gereiftes zum Verkosten an, in diesem Fall Sauvignon Blanc aus verschiedenen Spitzenlagen von 2010 bis 2006, von 2001, 2000 und 1997 sowie von 1985.
Beeindruckend war ebenfalls der 2006er Grüner Veltliner Familienreserve von Ludwig Hiedler, der fünf Jahre auf der Vollhefe bei regelmäßiger Bâtonnage im großen Holzfass lag und erst im Februar 2012 abgefüllt wurde. Die Empfehlung für diesen Wein stammte von Vinaria-Verkostungsleiter Dr. Viktor Siegl, einem Grandseigneur der österreichischen Weinszene, den ich am Stand kennenlernte.
Äußerst überzeugende Kollektionen präsentierten ferner – ich möchte sagen: wieder einmal – die (mehr oder weniger) bekannten Weingüter Wimmer-Czerny, Stadlmann, Sattlerhof, Georgiberg, Veyder-Malberg und Hirtzberger. Meine persönlichen Entdeckungen waren das Weingut StephanO von Dr. Stephan Oberpfalzer, der mit bemerkenswert elegantem Blaufränkisch auffiel, das Weingut Stagård, das schwedische Wurzeln hat (der Schriftzug erinnert etwas an die Science-Fiction-Serie „Stargate“) und rein biologisch arbeitet, sowie das Weingut von Markus Altenburger mit ausdrucksstarken Burgenland-Gewächsen. Darüber hinaus bot mir die VieVinum erstmals die Gelegenheit, Weine aus Kärnten und Russland zu probieren, und ich fand auch das Sortiment französischer Weine und Spirituosen von La Vinothèque Laroche sehr ansprechend.
Interessant waren auch die zwei Rahmenveranstaltungen, die ich besuchte: Bei einer Verkostung „regionaltypischer Blaufränkisch-Weine“ zeigten sich die Burgenländer Vertreter deutlich stärker als die Gewächse aus dem Carnuntum; von dort stach allein Dorli Muhr (Weingut Muhr-van der Niepoort) mit ihren Weinen vom Spitzerberg heraus. Und hätte ich mir bei der faszinierenden Themenverkostung „Reife Weine sind authentisch“ der Renommierten Weingüter Burgenland (RWB) zwei Weine aussuchen dürfen: Es wären der 2000er Ab Ericio von Hans Igler (je 40% Blaufränkisch und Merlot sowie 20% Zweigelt) und der wahrhaft überragende 1999er Chardonnay Tatschler von Kollwentz gewesen.
Apropos reife Weine: Aus privatem Fundus durfte ich in den folgenden Tagen in Wien unter anderem den 2000er Tattendorfer Cabernet Sauvignon Merlot von Leopold Auer, die ebenfalls von Auer für den Önologen Karl Bajano abgefüllte Cuvée zwaSEX von 2006 (Blaufränkisch, Zweigelt, Merlot) und den 2001er Pinot Noir von Piriwe probieren – allesamt fantastische Erfahrungen!
Ein weiteres besonderes Genusserlebnis – ebenfalls außerhalb des Messeprogramms – war der Abend des ersten VieVinum-Tages, an dem ich zusammen mit einem kleinen Kreis anderer Weinprofis zum Essen in „Plachuttas Gasthaus zur Oper“ eingeladen war, wo es – natürlich – Tafelspitz gab. Zu den Gästen zählten unter anderem der umtriebige Önologe Frank John („Wein ist immer ein Spiegel der Gesellschaft, in der er wächst.“) und der britische Weinhändler Mark Savage MW, der sich nicht nur als großer Orgelliebhaber, sondern auch als höchst unterhaltsamer Gesprächspartner erwies. Dieses angeregte Zusammentreffen alter und neuer Freunde endete anschließend im „Le Loft“ im 18. Stock des Sofitel Vienna Stephansdom bei überwältigendem Blick über die Lichter der nächtlichen Stadt und zwei Flaschen reifer Roter von Gauby und Matassa.
Weingut R&A Pfaffl, Stetten (Weinviertel)
Die Familie Pfaffl kenne ich schon seit vielen Jahren und nutzte diesen Wien-Aufenthalt auch wieder einmal für einen Besuch im Weingut. Roman Josef Pfaffl nahm sich extra einen halben Tag Zeit für mich und führte mich zunächst durch den gesamten Betrieb. Pfaffl setzt auf schonende Verarbeitung und Temperatursteuerung: Alle Tanks sind kühl- und heizbar, so dass nicht nur während der Gärung, sondern während des gesamten Herstellungsprozesses ein gezieltes Temperaturmanagement möglich ist. Auch im Weinberg wird möglichst naturnah gearbeitet: Wetterstationen erlauben genaue Niederschlagsprognosen, so dass die Reben nur dann gegen Fäulnis und Schädlinge behandelt werden, wenn es zwingend notwendig ist. Wie Roman Josef berichtete, wurde in diesen Tagen gerade das erste Mal gespritzt, weil die Witterung es vorher nicht erfordert habe; üblich sei Anfang Juni schon der zweite oder dritte Spritzdurchgang.
Anschließend sahen wir uns die Lagen Hundsleiten, Wien I, Wien II und Terrassen Sonnleiten an, bevor wir beim Mittagessen im Weingut (!) einige Weine vergangener Jahrgänge probierten. Zur Frittatensuppe passte exzellent der 2004er Sauvignon Blanc, der schon drei Tage offen war, und Heidi Pfaffls laut ihrem Sohn legendäre (stimmt!) Marillenknödel begleitete hervorragend der 2009er Riesling am Berg, der seinerseits eine starke Aprikosen-Aromatik hat.
Wie schon vorher viele Winzer auf der VieVinum beklagte auch Roman Josef, dass so viele Weine viel zu jung verkauft und vor allem getrunken werden. Dabei gehe es seiner Ansicht nach gar nicht um die Frage, ob „alt“ oder „jung“, sondern allein um den Status „neu“. Die Verbrauchermentalität sei durch die Werbung so auf Neuheiten fixiert, dass auch beim Wein immer der neue(ste) Jahrgang im Vordergrund stehe: Wer hat ihn zuerst im Keller, wer hat ihn zuerst getrunken, wer hat sich zuerst über ihn geäußert? Dieser Sichtweise stimme ich zu, und auch wenn das der (bedauerliche) Zeitgeist ist, vor dessen Hintergrund auch immer mehr Weine für den schnellen Konsum produziert werden: Ich weiß, was ich an gereiften Weinen habe, und gerade in dieser Hinsicht konnte ich in diesen Tagen in Österreich, wie schon bemerkt, eine Menge Erfahrungen sammeln – so ja auch hier beim Mittagessen mit Roman Josef, der mich danach sogar noch zurück nach Wien chauffierte. Auf diesem Wege nochmals herzlichen Dank!
Weingut Erwin Tinhof, Trausdorf (Burgenland)
Erwin Tinhof hat im Herbst 2011 seine neue Kellerei eingeweiht, und nachdem ich bislang nicht dazu gekommen war, sie mir anzuschauen, holte ich das nun bei einem Besuch am Leithagebirge nach. Die Gebäude einer ehemaligen Bäckerei, die jetzt ein komplett ebenerdiges Arbeiten bei der Weinbereitung ermöglichen, liegen am Ortsrand von Trausdorf. Auf dem Grünstreifen zwischen Straße und Parkplatz hat Erwin ein einzigartiges Weingarten-Labyrinth angelegt: Mit Weiß- und Spätburgunder stehen dort zwei historische Sorten – der Weinbau in Deutsch-Westungarn, wie das Burgenland früher hieß, ist rund 2.800 Jahre alt –, die zudem die Wappen-Farben von Eisenstadt (und sogar nicht zuletzt von Österreich selbst) widerspiegeln. In etwa drei Jahren steht die Jungfernlese an, die je ein Fass Weiß- und ein Fass Rotwein ergeben soll. Die „Labyrinth-Weine“ sollen dann jedes Jahr für einen karitativen Zweck versteigert werden.
Wir fuhren jedoch zunächst in die Weingärten und schauten uns die Lagen Feuersteig und Steinriegel an. Ich erfuhr nicht nur einiges über die Böden und Mikroklimata, sondern konnte diese auch selbst sehen, riechen und fühlen. Währenddessen erzählte Erwin auch, woher das Burgenland seinen heutigen Namen hat – er geht zurück auf die früheren ungarischen Verwaltungseinheiten Ödenburg (Sopron), Wieselburg (Moson) und Eisenburg (Vas) –, und kommentierte die Entwicklungen in der Landnutzung, die wir in der Gegend beobachten konnten, lakonisch mit: „Ackerbau – Weinbau – Wohnbau.“ Über Grundstücksspekulationen in Wien und Umgebung hatte zwei Tage zuvor auch schon Roman Josef Pfaffl gesprochen.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen musste Erwin sich verabschieden, ließ mich jedoch in der ebenso fachkundigen wie sympathischen Obhut seines Neffen Lukas, der mir dann die gesamte Kellerei zeigte: architektonisch funktional, technisch hochmodern und mit einem puristisch-eleganten Verkostungsraum. Von Tank und Fass probierten wir dann die Rotweine, die dort noch ihren letzten Schliff erhalten, und es war hochinteressant, die Unterschiede zwischen einem 300- und einem 500-Liter-Eichenfass (wie alle Fässer von der Tonnellerie François Frères) herauszuschmecken.
Lukas wusste übrigens auch Bemerkenswertes aus seinem gerade abgeschlossenen Weinbaustudium zu berichten, denn die Chemieindustrie dominiert die Hochschulen: Professoren haben Beratungsmandate, Firmen stellen Themen für Abschlussarbeiten, in denen die Wirkungen ihrer Produkte bestätigt werden sollen, und treten als Sponsoren auf. Wer neben dem Studium in einem (gar dem eigenen) Betrieb tätig ist, der ökologisch arbeitet, bekommt bei dieser Vorherrschaft der konventionellen, chemiegeprägten Weinbaumethoden in der Lehre kaum eine Chance, sich im Studium mit den Alternativen auseinanderzusetzen. Dramatisch!
In jedem Fall sei auch Erwin und Lukas an dieser Stelle nochmals für ihre Zeit und ihre Gastfreundschaft gedankt.
Champagner und Naturwein
Nachdem ich bereits im Juni 2011 in Wien die Champagner-Vinothek „Le Cru“ entdeckt hatte, musste ich selbstverständlich auch diesmal wieder dorthin, und der Zufall wollte es, dass ich zu einer kleinen Probe neuer Champagner eingeladen wurde, die darauf geprüft werden sollten, ob sie ins Sortiment aufgenommen würden.
Nach einem Schluck Pureté Brut Zéro von René Geoffroy zur Einstimmung probierte ich unter zusammen mit Dominik Portune und Alexander Davidek von Team des „Le Cru“ sowie dessen Inhaber Kommerzialrat Rudolf Anzenhofer und weiteren Gästen folgende Champagner:
- Rosé Brut von Bouché
- Cuvée Réservée Brut von Bouché
- Sélection Brut von Janisson-Baradon
- Cumières Premier Cru Brut Nature von Georges Laval
- 2005 La Toulette Brut von Janisson-Baradon
- 2005 Tue Bœuf Brut von Janisson-Baradon
Unser Favorit war eindeutig der Cumières Premier Cru von Laval, gefolgt vom Tue Bœuf von Janisson-Baradon. Nach dem offiziellen Teil öffneten wir dann im kleineren Kreis noch einen 2002 Brut Nature von Marie-Noëlle Ledru, einen 2005 Blanc de Blancs Brut von Diebolt-Vallois, einen 2007 Les Vignes d‘Autrefois Pinot Meunier Vieilles Vignes Extra Brut von Laherte und einen 1996 HBH Brut von Brochet-Hervieux. In der zunehmend geselligen Stimmung entspann sich ein angeregtes Gespräch mit einer zufällig neben mir stehenden genussorientierten Erdöltechnikerin über kulinarische und gesellschaftspolitische Themen, und Frau Anzenhofer erzählte, dass Starkoch Eckart Witzigmann sich kürzlich sieben Stunden lang im „Le Cru“ am Champagner delektiert habe. Am Ende dieses fulminanten Nachmittags verabredete ich mit Dominik und Alexander ein erneutes Treffen zu einer Weinprobe im privaten Kreis.
Diese fand zwei Tage später bei Dominik zu Hause statt, und der Abend sollte, wie sich herausstellte, überwiegend unter dem Thema Naturweine stehen. Wir begannen mit dem 2009er Grüner Veltliner Minimal von Sepp Moser und bekamen die folgenden beiden Weine zunächst blind vorgesetzt. Beim 2007er Riesling Grand Cru Hengst von Josmeyer kam ich immerhin auf Rebsorte, Jahrgang, Anbaugebiet und Qualitätsstufe, doch der nächste Wein hatte es in sich: Aromen von Äpfeln, Birnen und Tee, dazu nussige und zart gewürzige Noten, Anklänge an Rosinen, Heu und Karamell sowie leicht oxidative Töne. Was konnte das sein? Nach einigen vergeblichen Annäherungsversuchen bezweifelte ich schließlich, dass es sich überhaupt um Wein aus Trauben handelte – und Dominik lüftete lachend das Geheimnis: „HolzApfel“, ein trockener, im Barrique ausgebauter Apfelwein mit 11 Volumenprozent von Jörg Geiger. Chapeau!
Den Abschluss dieses ebenso spannenden wie unterhaltsamen Abends bildete der 2009er Pithos von Cos, ein sizilianischer Amphorenwein. Egal, wie kontrovers die Naturwein-Debatte geführt wird: Was manche Winzer auf diese Weise hervorbringen, ist wirklich faszinierend und gehört zu den besten Weinen, die ich je probiert habe. Aktuelle Beispiele aus Österreich hat Journalist Andreas Essl – der übrigens zusammen mit Dominik Portune das Büro „wein und text“ für Kommunikation und Gestaltung betreibt – in einer zweiteiligen Reportage im Magazin von Wein-Plus anschaulich zusammengetragen. Und die Bewertungen im Weinführer sprechen für sich.